Berliner Debatte Initial
Über Fritz Mierau (1934–2018)
6 Seiten | Autor: Andreas Koziol
Der am 29. April 2018 verstorbene Slawist Fritz Mierau gehörte wohl zu den profundesten Kennern der russischen Literatur und des russischen Exils in Deutschland. In einem Nachruf bedenkt der Schriftsteller Andreas Koziol den Erfahrungsraum und den Erwartungshorizont Mieraus und dessen Arbeit. „‚Welterfahrene Häuslichkeit‘ – das ist der von Dichtern wie Michail Kusmin und Ossip Mandelstam inspirierte Begriff, den Fritz Mierau für sein Weltverhältnis etablierte: Eine dynamische Mischung aus kontemplativer und aktiver Lebensweise, inbegriffen natürlich auch die physische Form der Weltaufnahme, also die Reiseaktivitäten, die in der Regel der Idee für neue Bücher entsprangen und folgerichtig in der Herausgabe und dem Schreiben von Büchern mündeten,“ so Koziol. Jene „welterfahrene Häuslichkeit“, die Klammer, die Mieraus Arbeiten zusammenhält, korrespondierte mit „weltoffener Häuslichkeit“ – so eine weitere Formulierung Mieraus – als praktizierter Lebensweise.
PDF: 0,00 €
Reise in die Zukunft
19 Seiten | Autor: Wladislaw Hedeler
Während es an Untersuchungen zu den in den 1920er und 1930er Jahren verfassten Berichten von Russlandreisenden nicht mangelt, kann von einer vergleichbar gründlichen Erforschung der Reisen in die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg keine Rede sein. Wladislaw Hedeler führt Untersuchungen über „politische Touristen“ und Emigranten für die unmittelbar nach Kriegsende wiederbelebte Praxis von Delegationsreisen fort. Unter dem Motto „Reise in die Zukunft“ skizziert er, wie die Losung „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ im Nachkriegsdeutschland von den an den Delegationen teilnehmenden Politikern, Partei- und Jugendfunktionären, Architekten, Künstlern, Schriftstellern und Werktätigen eingeübt, propagiert und praktiziert worden ist – ungeachtet der Warnung einiger Gastgeber, das Gesehene nicht zu verabsolutieren.
PDF: 0,00 €
Welterfahrungen
12 Seiten | Autor: Astrid Volpert
Astrid Volpert zeichnet den Lebensweg des Architekten und Städtebauers Werner Hebebrand (1899-1966) in drei Etappen nach: Die erste Phase (1930-1937) bildet Hebebrands Arbeit innerhalb der „Architektengruppe May“, die ihn unter anderem nach Magnitogorsk und Nowokusnezk führt und in deren Zuge die Entwicklung moderner Krankenhausbauten zu seiner wichtigsten Aufgabe wird. Dieser Aufenthalt Hebebrands in der Sowjetunion endet mit seiner Verhaftung (1937) und anschließenden Ausweisung (1938). Die zweite Phase (1937-1957) bildet Hebebrands erzwungene Rückkehr nach Deutschland, wo ihm nach dem Zweiten Weltkrieg der Übergang in den zivilen Städtebau gelingt. Die dritte Phase (1957-1966) beginnt mit Hebebrands Gesuch der Wiedereinreise in die Sowjetunion, welches sich in voller Länge in Volperts Artikel wiederfindet. 1958 kehrt Hebebrand zum ersten Mal wieder zurück nach Moskau, 1964 bricht er, wiederum mit Ernst May, zu einer letzten Studienreise durch die Sowjetunion auf.
PDF: 0,00 €
Als Autorin für die „Frankfurter Zeitung“ in der Sowjetunion
11 Seiten | Autor: Gesine Bey
Gesine Bey porträtiert die 1890 in Mähren geborene und 1985 in Moskau verstorbene Autorin Angela Rohr, indem sie deren journalistische Arbeiten zwischen 1928 und 1936 in den Mittelpunkt rückt. Nachdem Rohr 1925 nach Moskau übergesiedelt war und die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, veröffentlichte sie im Feuilleton und Nachrichtenteil der „Frankfurter Zeitung“ in neun Jahren 46 Beiträge aus der Sowjetunion, darunter Berichte vom Moskauer Leben oder Reisen nach Fernost und in den Kaukasus. Bey zeigt exemplarisch, dass Rohrs Reportagen eine große Nähe zu und Vertrautheit mit den Menschen auszeichnet, über die sie berichtet.
PDF: 0,00 €
„Revolution“ als Problem der Europäistik
8 Seiten | Autor: Steffen Dietzsch
Steffen Dietzsch fragt in seinem Beitrag, was die („konservativ-revolutionären“) Autoren der Zeitschrift „Widerstand“ (1926-1934) und den Philosophen Hugo Fischer (1897-1975) im Besonderen an dem „bolschewistischen Politik-Theoretiker“ Lenin interessierte. Dietzsch führt zunächst aus, wie die „zivilisatorische Katastrophe“ – denn als solche wurde die bolschewistische Revolution des Jahres 1917 zunächst von der deutschen politischen und intellektuellen Öffentlichkeit überwiegend wahrgenommen – vom „Widerstands“-Kreis sukzessive als „ein konservatives Problem“ identifiziert wurde. Sodann zeichnet Dietzsch die Denkbewegung Hugo Fischers nach, die Lenins „neuen politischen Realismus“ anschlussfähig machen sollte für (s)eine zur Europäistik umgestaltete Politische Theorie. Die Synchronisation von Fischer und Lenin ergibt sich, so Dietzsch, aus einer veränderten politiktheoretischen Funktion und Bedeutung der Revolution – vor allem in Bezug auf (National-)Staatlichkeit: „Revolution wird nicht mehr als Ausrutscher in einer ansonsten nationalstaatlich eingehegten Rechts- und Verwaltungsordnung gesehen, sondern sie ist geschichtliche Pionierarbeit, um den Tätigkeitsraum der Polis zu erweitern“.
PDF: 0,00 €
Perspektivenwechsel
12 Seiten | Autor: Anne Hartmann
Die junge Sowjetunion nötigte zur Stellungnahme. „Es gibt keine Neutralen und es kann keine geben“, kommentierte etwa Bruno Frei. Die vielen Reiseberichte der 1920er und frühen 1930er Jahre gaben sich entsprechend urteilsfreudig und meinungsstark. Solche Gewissheit findet man in den Texten der deutschen Schriftsteller, die während der Hitlerzeit als Emigranten in der UdSSR lebten, kaum noch. Terror und Tabus setzten dem Sprechen über die Sowjetunion Grenzen. In der Nachkriegszeit und im Nachhinein verschob sich die Perspektive noch einmal. Doch auch in den autobiographischen Rückblicken aus der DDR dominieren die ritualisierten Legenden über das Vaterland der Werktätigen, getragen von dem Bemühen, dem Exil Sinn zuzumessen und die politischen wie persönlichen Lebensentscheidungen zu rechtfertigen.
PDF: 0,00 €
Zwischen den Fronten: Sprache finden im ost-westlichen Gelände
16 Seiten | Autor: Wladislaw Hedeler, Karl Schlögel
Dokumentation eines Gespräches mit dem Osteuropahistoriker Karl Schlögel, geführt am 13. Dezember 2017 im Berliner Max-Lingner-Haus. Ausgangspunkte sind Schlögels zum Revolutionsjubiläum veröffentlichtes Buch „Das sowjetische Jahrhundert“ (C. H. Beck 2017) und der von ihm eingeleitete Band „De profundis. Vom Scheitern der russischen Revolution“ (Suhrkamp 2017), eine Sammlung von Essays der russischen Intelligenzija von 1918 „zur geistigen Lage Russlands“. Zur Sprache kommen aber auch Schlögels zeitgeschichtliche Prägungen als Osteuropahistoriker, das Fehlen einer Geschichte der zwischen Ost und West geführten Diskurse und ihrer Asymmetrien sowie die Notwendigkeit, über die Geschichte der damit einhergehenden Missverständnisse nachzudenken. Schlögel spricht von den „Langzeitfolgen des Kalten Krieges, der Teilung der Welt: Es hatten sich zwei verschiedene Sprach- und Begriffswelten herausgebildet. […] Und es wird noch lange dauern, das zu überwinden“.
PDF: 0,00 €
Editorial 3/2018
4 Seiten | Autor: Wladislaw Hedeler, Thomas Möbius, Thomas Müller
Im Themenschwerpunkt „Deutsche sehen die Sowjetunion“ stehen historische Konstellationen und Prägungen des deutschen Blicks auf Russland ebenso im Fokus wie die Darstellung und Verarbeitung des dortigen Geschehens seit 1917 aus deutscher Perspektive. Die Beiträge stellen ausgewählte Personen und Phänomene wie den Polit-Tourismus in die Sowjetunion vor. Exemplarisch untersuchen sie, was den jeweiligen Blick motivierte und formte. Dabei handelt es sich nicht zuletzt um Erfahrungen von Grenzüberschreitungen, wie der Osteuropaforscher Karl Schlögel sie nennt. Die meisten der in den Beiträgen vorgestellten Autorinnen und Autoren reisten in die Sowjetunion. Ein anderes zentrales Moment ist die Vergegenwärtigung russischer Erfahrungen. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ lautete ein Slogan. Das war die ideologisch schlichte Form, von oben dekretiert. Doch es geht um mehr und anderes: um die Auseinandersetzung mit dem Russland des 20. Jahrhunderts – was sowohl dortiges eigenes Erleben umfasst, die Reflexion der russischen Geschichte und ihrer Ausstrahlung auf Europa und die Welt, als auch die (Wieder-)Entdeckung und Vermittlung der russischen literarischen Moderne. Damit knüpfen die Beiträge auch an den Themenschwerpunkt „Russland in Blut gewaschen“ (Berliner Debatte Initial 1/2017) an, der das Revolutionsjahr 1917 und seine literarische Verarbeitung ins Zentrum rückte.
PDF: 0,00 €
Deutsche sehen die Sowjetunion
ISBN 978-3-945878-91-0 | ISSN 0863-4564 | 150 Seiten
Im Themenschwerpunkt „Deutsche sehen die Sowjetunion“ stehen historische Konstellationen und Prägungen des deutschen Blicks auf Russland ebenso im Fokus wie die Darstellung und Verarbeitung des dortigen Geschehens seit 1917 aus deutscher Perspektive. Die Beiträge stellen ausgewählte Personen und Phänomene wie den Polit-Tourismus in die Sowjetunion vor. Exemplarisch untersuchen sie, was den jeweiligen Blick motivierte und formte. Dabei handelt es sich nicht zuletzt um Erfahrungen von Grenzüberschreitungen, wie der Osteuropaforscher Karl Schlögel sie nennt. Die meisten der in den Beiträgen vorgestellten Autorinnen und Autoren reisten in die Sowjetunion. Ein anderes zentrales Moment ist die Vergegenwärtigung russischer Erfahrungen. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ lautete ein Slogan. Das war die ideologisch schlichte Form, von oben dekretiert. Doch es geht um mehr und anderes: um die Auseinandersetzung mit dem Russland des 20. Jahrhunderts – was sowohl dortiges eigenes Erleben umfasst, die Reflexion der russischen Geschichte und ihrer Ausstrahlung auf Europa und die Welt, als auch die (Wieder-)Entdeckung und Vermittlung der russischen literarischen Moderne. Damit knüpfen die Beiträge auch an den Themenschwerpunkt „Russland in Blut gewaschen“ (Berliner Debatte Initial 1/2017) an, der das Revolutionsjahr 1917 und seine literarische Verarbeitung ins Zentrum rückte.
Außerhalb des Themenschwerpunktes analysiert Ulrich Busch die Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik der letzten Jahre. Ausgehend von grundsätzlichen Überlegungen zum Zinsbegriff und auf einer breiten Datenbasis zeigt er, wie unterschiedlich die Folgen dieses geldpolitischen Experiments für den Staat, die Unternehmen und die privaten Haushalte sind. Zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution fragt Heiner Karuscheit nach der Politik der SPD vor und während der revolutionären Ereignisse 1918/19. Seine These ist: Die Weimarer Republik war nicht das Ergebnis einer siegreichen demokratischen Revolution, sondern einer von der SPD organisierten Konterrevolution. Dies erkläre auch, warum die Republik nicht lange Bestand hatte. Weiter zurück in die Geschichte politischer Ideen geht Janosik Herder in seinem Beitrag über das Konzept der sozialen Bewegung und zwei seiner bekanntesten Vordenker: Lorenz von Stein und Karl Marx. Herder legt nicht nur dar, worin sich Stein und Marx unterscheiden, sondern erläutert auch die – aus der Marxschen Begriffsbestimmung resultierenden – Differenzen zwischen Stein und der neueren Bewegungsforschung.
Inhalt
-
-
Wladislaw Hedeler im Gespräch mit Karl Schlögel. Bearbeitete Dokumentation eines Gesprächs am 13. Dezember 2017 im Max-Lingner-Haus in Berlin-Pankow
-
Passanten und Emigranten über die Sowjetunion der 20er und 30er Jahre
-
Oder: Wie der „Widerstands“-Kreis um 1930 Lenin versteht
-
Angela Rohr in den Jahren 1928 bis 1936
-
Werner Hebebrands Rehabilitierung und Reisen in die UdSSR
-
Berichte von Deutschen über ihre Fahrten in die Sowjetunion 1946 bis 1955
-
-
Ein geldpolitisches Experiment mit Folgen
-
Die Politik der SPD in Krieg und Novemberrevolution
-
Zur Genealogie sozialer Bewegung bei Lorenz von Stein und Karl Marx
-
Besprechungen und Rezensionen 2/2018
13 Seiten | Autor: Alexander Amberger, Olaf Briese, Ulrich Busch, Sylvia Klötzer
(1) Nathan Jun (Hg.): Brill’s Companion to Anarchism and Philosophy, rezensiert von Olaf Briese (S. 145-147); (2) Wolfgang Harich: Schriften zur Anarchie, rezensiert von Alexander Amberger (S. 148-151); (3) Stephan Krüger: Soziale Ungleichheit. Private Vermögensbildung, sozialstaatliche Umverteilung und Klassenstruktur, rezensiert von Ulrich Busch (S. 152-155); (4) Kathrin Kunkel-Razum u. a.: Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben, rezensiert von Sylvia Klötzer (S. 156-157)
PDF: 0,00 €