Berliner Debatte Initial
Die Entwertung des ‚Egoismus‘
10 Seiten | Autor: Meinhard Creydt
Eine kampfstarke Division jener massiv populären Klischees, die alle über die bürgerliche Gesellschaft hinausweisenden Bestrebungen als naiv und wirklichkeitsfremd verbellen sollen und Diskussionen beendend die Grenzen des Pluralismus markieren, hat den vermeintlichen und wirklichen Egoismus zum Thema. Die einschlägigen Maximen lauten: „Jeder ist sich selbst der Nächste. Geben macht selig, nehmen macht reich. Niemand hat etwas zu verschenken. Der Schaden des einen ist der Nutzen des anderen. Private Laster schaffen öffentliche Vorteile.“ Ich kritisiere im Folgenden eine den Egoismus verabsolutierende Fehldiagnose (1) und skizziere – diesseits allen Moralisierens – zu verortende Vorschläge zur Einhegung von Vorteilsnahme zulasten anderer (2). Es folgen Überlegungen dazu, wie das Privatinteresse als Resultat von untereinander divergenten und konfligierenden Bereichsinteressen unnötig werden kann (3) und warum Privatinteresse und -eigentum als System fragwürdig sind (4).
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Vom Nutzen und Nachteil des Kulturkampfes für den Liberalismus
7 Seiten | Autor: Stefan Militzer
„Wir sind mit noch nie dagewesenen Gefahren konfrontiert“, schreibt der spanische Strafrechtler Carlos Castresana in „lettre international“. Die Bedrohung durch Terrorismus zwinge den liberalen Rechtsstaat bis an den Rand seiner Selbstverleugnung. Ähnlich warnend auch die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer, im selben Heft sucht sie nach der Möglichkeit einer literarischen Verarbeitung von Gewalt und Verbrechen. Dafür wünscht sie sich, dass wir Menschen uns neu entdecken sollten. „Diese Neuentdeckung“, so Gordimer auf Seite 14, „war nie nötiger, lebenswichtiger als heute, da die Informationstechnologie, der neue Glaube“, an der Frage, was der Mensch sei, „gescheitert ist“. Auch Gordimer nimmt die Ereignisse des elften September 2001 zum Anlass für ihren Essay. Beide Autoren reflektieren also die Herausforderung des Westens durch den Terrorismus, und so unterschiedlich ihre Perspektiven auch ansetzen, so gleichen sie sich doch in ihrem alarmierenden Charakter.
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Die getarnte Spekulation
7 Seiten | Autor: Dominik Sommer
Alexis de Tocqueville, früher Begründer der modernen politischen Wissenschaft, breitet am Ende seines ersten, 1835 erschienenen Bandes „Über die Demokratie in Amerika“ völlig überraschend und scheinbar kontextlos die Vision einer zweigeteilten Welt aus: „Es gibt heute auf Erden zwei große Völker“, schreibt er, „die dem gleichen Ziel zuzustreben scheinen: die Russen und die Angloamerikaner [...]. Ihr Ausgangspunkt ist verschieden, ihre Wege sind ungleich, dennoch scheint jeder von ihnen nach einem geheimen Plan der Vorsehung berufen, eines Tages die Geschicke der halben Welt in seiner Hand zu halten“ (Tocqueville 1987a: 613f.). Wirklich beeindruckend ist dieses Fazit, wenn man sieht, dass sich gut einhundert Jahre später eine bipolare Welt im Kalten Krieg formierte, die genau dieser Trennung folgte. War doch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt durch das sicherheitspolitische Szenario eines militärischen Showdowns, der bei seinem Eintritt die absolute Vernichtung der Welt bedeutet hätte. Unter der Ägide der USA und Russlands prallten zwei ideologische Welten aufeinander, die sich militärisch jeweils gegenseitig zu übertrumpfen suchten.
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Populismus: Jenseits von Dämonisierung und Vergötterung
9 Seiten | Autor: Cristóbal Rovira Kaltwasser
Populismus und Demokratie stehen in einer ambivalenten Beziehung zueinander. Sie schließen einander jedoch nicht aus, vielmehr handelt es sich um ein konfliktreiches Verhältnis. Dieses Spannungsverhältnis lässt sich allerdings nur in seiner Besonderheit verstehen, wenn der Betrachtung eine Entnormativierung des Populismusbegriffs zugrunde gelegt wird. In diesem Zusammenhang wird im folgenden Beitrag eine idealtypische Definition des Populismus präsentiert und diskutiert, die zwei Aspekte ins Zentrum der Analyse rückt: erstens, inwiefern der Aufstieg des Populismus mit einem Eliteversagen in Verbindung steht, sowie zweitens, inwieweit dessen Dauerhaftigkeit von der Aufrechterhaltung von Leidenschaften abhängt.
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Das letzte Imperium?
6 Seiten | Autor: John Andreas Fuchs
In den 1960er Jahren griff ein präsidialer Hoffnungsträger nach den Sternen. Bereits in seiner Rede zur Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat hatte John F. Kennedy die Amerika prägende frontier-Idee wiederbelebt: „… die Probleme sind noch nicht alle gelöst, und von den Kämpfen noch nicht alle gewonnen – und wir stehen heute an einer Neuen Grenze (New Frontier) […] einer Grenze zu unbekannten Möglichkeiten und Gefahren – einer Grenze zu unerfüllten Hoffnungen und Bedrohungen […] Jenseits dieser Grenze befinden sich die unerforschten Gebiete von Wissenschaft und Weltraum, die ungelösten Probleme von Krieg und Frieden, die nicht bezwungenen Gebiete der Ignoranz und der Vorurteile, die unbeantworteten Fragen von Armut und Überfluss.“
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Die Befreiung der Sklaven
19 Seiten | Autor: Alexis de Tocqueville
Oft sind wir gegenüber unserer Zeit ungerecht. Unsere Väter haben so außergewöhnliche Dinge erlebt, dass im Vergleich zu ihren Werken alle Taten unserer Zeitgenossen mittelmäßig erscheinen. Unsere heutige Welt bietet trotzdem einige großartige Szenarien, die uns in Erstaunen versetzen, solange wir nicht zu stark beansprucht oder abgelenkt sind.
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Freiheit, Gleichheit und Sklaverei
4 Seiten | Autor: Skadi Krause
Die Alexis de Tocqueville zugestandene Autorität als führender politischer Theoretiker der modernen Demokratie hat dazu geführt, dass sein Werk zumeist auf die Schriften „Über die Demokratie in Amerika“ und „Der alte Staat und die Revolution“ reduziert wird. Seine Rolle als Politiker, aber auch seine Schriften über Algerien, den Pauperismus in England und die Sklaverei in den französischen Kolonien haben dagegen erst in jüngster Zeit Beachtung gefunden.
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Konsum und Zeit
10 Seiten | Autor: Kai-Uwe Hellmann
1949 formulierte der Ethnologe Ralph Linton: „Eine der wichtigsten wissenschaftlichen Entwicklungen in jüngerer Zeit ist die Entdeckung der Kultur. Ein Tiefseebewohner, hat man gesagt, würde wahrscheinlich als letztes das Wasser entdecken. Er würde sich der Tatsache, dass es Wasser gibt, erst bewusst werden, wenn er durch einen Zufall an die Oberfläche gelangte und das Vorhandensein der Luft feststellte“. Dieses Gleichnis, dem zufolge Kultur, die uns seit jeher umgibt, jedoch weitgehend unsichtbar bleibt, erst vergleichsweise spät entdeckt wurde, obgleich sie für unsere Existenz eine Conditio sine qua non darstellt, passt nun hervorragend für die Konsumforschung, soweit es ihr Erkenntnisinteresse an der Relevanz von Zeit für den Konsum betrifft. Denn Zeit spielt für unseren Konsumalltag zwar eine zentrale Rolle, Tag für Tag, ein Leben lang, innerhalb der Konsumforschung wird ihr jedoch nur eine vergleichsweise marginale Stellung zugestanden. Insofern könnte man fast sagen, dass ein Großteil der Tiefseebewohner der Konsumforschung noch kaum bemerkt hat, welch ubiquitäre Bedeutung der Zeit für das tägliche Konsumverhalten zukommt.
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Literaturkonsum und Lesezeit
11 Seiten | Autor: Sabine Wollscheid
In der fachwissenschaftlichen wie auch in der öffentlichen Diskussion gewinnt das Phänomen der Beschleunigung in vielen Lebensbereichen zunehmend an Bedeutung, so auch beim Konsum. Schon vor etlichen Jahren konstatierte Linder, dass mit steigendem Einkommen immer weniger Zeit für einzelne Konsumaktivitäten aufgewendet und Konsum stattdessen immer materialintensiver werde.
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Schneller kaufen!
9 Seiten | Autor: Hartmut Rosa, Stephan Lorenz
Seit einigen Jahren breiten sich die Angebote von „Coffee to go“ immer weiter aus. Kaffee wird damit in eine lange Reihe bekannter Fastfood- und Fastdrink-Angebote eingereiht. Zwar war Kaffee immer schon ein dynamisierendes Getränk, das die Müdigkeit vertreibt und auf Arbeitstreffen nicht fehlen darf. Gleichwohl wird diese Bedeutung dadurch gesteigert, dass man sich mit dem Kaffeetrinken nicht mehr vor Ort aufhält, sondern dies unterwegs erledigt. Man spart sich damit zum einen die „Wartezeit“ des Sitzens, erledigt das Kaffeetrinken nebenbei, während des Gehens und vielleicht noch mobilen Telefonierens („Multitasking“), und wenn man jetzt auch noch schneller trinkt, hat man die wesentlichen Umgangsformen mit Beschleunigungsanforderungen konsumierend bereits realisiert.
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