Berliner Debatte Initial
Kurt Bayertz, Myriam Gerhard, Walter Jaeschke (Hg.): Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert
6 Seiten | Autor: Thomas Müller
„Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen“ – mit provokanten Thesen wie dieser sorgten Neurowissenschaftler vor kurzer Zeit für Furore in den Medien. Experimente zum Zusammenhang von Hirnaktivitäten und Entscheidungsfindung wurden von ihnen als Beleg dafür gedeutet, dass die lebensweltlich eingespielte Vorstellung individueller Autonomie und Willensfreiheit nur eine Illusion sei, die das menschliche Gehirn erzeuge. Tatsächlich, so wurde das interessierte Publikum von den Hirnforschern belehrt, habe das Gehirn bereits entschieden, bevor der Person die Entscheidung bewusst wird. Gefordert sei deshalb ein neues Menschenbild, das die alten Illusionen von Autonomie vermeide und auch im Strafrecht zu berücksichtigen sei.
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Günter Butzer, Joachim Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole
3 Seiten | Autor: Mariele Nientied
Für zentrale literaturwissenschaftliche Debatten gilt, dass ihre Vorläufer bereits Jahrhunderte vorher in der Theologie geführt wurden: Übersetzungstheorien, Kanonisierungsfragen, Interpretationsmethoden wurden dringlich, weil sich die jüdisch-christliche Tradition auf ein Buch beruft und daran anknüpfende Glaubenskonflikte mit Rekurs auf Texttheorien und Regeln für richtiges Lesen und Verstehen der heiligen Worte zu lösen versuchte – bis hin zu schismatischen Folgen wie in der Reformation. Dies gilt auch für das „Lexikon literarischer Symbole“. Wie im Vorwort richtig angemerkt wird, ist die Unterscheidung von Symbol und Allegorie erst spät relevant geworden – hierzu hätten Walter Benjamin und Umberto Eco zumindest in der Literaturliste Erwähnung verdient. Stattdessen wird auf theoretische Erörterungen weitgehend verzichtet und eine Minimaldefinition des Symbols gegeben, die auch im Vorwort eines der zahlreichen allegorischen Wörterbücher aus Mittelalter und Barock hätte stehen können, um die intertextuelle Spezifik von Typologien zu beschreiben: „Unter ‚Symbol‘ wird also in diesem Lexikon die sprachliche Referenz auf ein konkretes Ding, Phänomen oder auch eine Tätigkeit verstanden, die mit einem über die lexikalische Bedeutung hinausweisenden Sinn verknüpft ist. Die besondere Attraktivität des Symbols für die Literatur liegt darin, dass es vom einzelnen Text ausgehend auf andere Texte und Kontexte ausgreift und zusätzliche Sinnzusammenhänge stiften oder zumindest andeuten kann.“
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Alfred Kosing: Innenansichten als Zeitzeugnisse – Philosophie und Politik in der DDR
12 Seiten | Autor: Camilla Warnke
Alfred Kosing hat im vergangenen Jahr, im Alter von 80 Jahren, seine Memoiren publiziert. Er verspricht uns „Innenansichten“, und das sind sie in der Tat. Es sind „Innenansichten“, weil er, wie man das bisher so nirgendwo nachlesen konnte, den alltäglichen Philosophiebetrieb der DDR (soweit er ihn erlebt hat) realistisch und anschaulich schildert, und es sind Innenansichten eines „Insiders“, weil er – wie nur wenige seiner Zunft – Einblicke in das innere Getriebe des Ideologieapparates hatte und diese Kenntnis seinen Zeitgenossen und heutigen Lesern vermittelt.
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„Man hat etwas anderes vermutet ...“
18 Seiten | Autor: Michael Jäckel, Daniel Kofahl
Dass menschliche Organismen Nahrung aufnehmen müssen, erscheint als anthropologische Universalie. Die Form der Ernährung hingegen ist offensichtlich beeinflusst von sozialen Begebenheiten. Bereits Georg Simmel beobachtete, dass das „eigentümlicherweise Egoistischste, am unbedingtesten und unmittelbarsten auf das Individuum Beschränkte“, nämlich die Nahrungsaufnahme, sozialisiert wurde, indem man die gemeinsamen Mahlzeiten über Tischsitten und Essvorschriften überindividuell normierte. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist dann eine fortlaufende spezielle Kommunikation über Essen und Geschmack zu einer eigenen, selbstreferentiellen sozialen Sphäre geworden, welche sich in der Kommunikation der Gesellschaft stabilisierte. Dass es sich hierbei um eine an Eigenwerten orientierende Kommunikation handelt, die ihre biologische Umwelt zwar in Anspruch und auf sie Bezug nimmt, aber gerade nicht ihre sprachliche Abbildung, sondern eine emergente soziale Konstruktion ist, sieht man unter anderem daran, dass nicht jede Handlung, die im weitesten Sinne der Nahrungsaufnahme dient, in diese Spezialkommunikation Eingang findet.
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Wie Sport Geschlecht und ‚Race‘ festschreibt
11 Seiten | Autor: Eva Boesenberg
In ihrer Studie „The Rites of Men“ schreibt die kanadische Kulturwissenschaftlerin Varda Burstyn: „Heutzutage verbinden die Rituale des Sports mehr Leute durch eine gemeinsame Erfahrung als irgendeine andere Institution oder kulturelle Aktivität.“ In den USA erfreut sich der Sport einer solchen Verehrung, dass Lewis Lapham ihn als Amerikas „Zivilreligion“ bezeichnet hat. Er konstatiert: „Das Spielfeld ist heiliger als die Börse, geweihter als Capitol Hill oder die Gewölbe von Fort Knox. Der Baseball- Diamant und das Football-Feld – und teilweise auch der Basketballplatz, das Eisstadion, die Aschenbahn und der Boxring – verkörpern den amerikanischen Traum vom Paradies“. Diese Zitate belegen sowohl die zentrale Rolle des Sports in der heutigen Kultur als auch die außerordentliche Wertschätzung, die ihm entgegengebracht wird. Wie Robert H. Frank und Philip J. Cook in „The Winner Take-All Society“ argumentieren, wird das hohe Ansehen des Sports beispielsweise in der Allgegenwart von Sport-Metaphern in ökonomischen Kontexten sichtbar, die derzeit nach den Prinzipien, die für Sportwettbewerbe gelten, umstrukturiert werden. In der politischen Arena, wo sich Präsidenten, KanzlerInnen und Staatsoberhäupter gern mit Nationalmannschaften fotografieren lassen – vorausgesetzt, diese sind erfolgreich –, ist der Sport ähnlich beliebt.
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Repräsentation versus Partizipation?
11 Seiten | Autor: Danny Schindler
Demokratie wird in modernen komplexen Gesellschaften primär als repräsentative Demokratie vorgestellt. Müssen deswegen aber die demokratischen Prinzipien Repräsentation und Partizipation dualistisch gedacht werden? Diese Annahme legen implizit oder explizit sowohl Vertreter der partizipativen Demokratietheorie als auch Verteidiger einer eliten- und repräsentationsbetonten Demokratietheorie nahe. Erstere argumentieren in diesem Zusammenhang, Repräsentation ersetze Partizipation bzw. beruhe letztlich schon definitorisch-konzeptionell auf Nicht- Partizipation. Letztere unterstellen hingegen unter anderem, der repräsentativen Demokratie sei angesichts der Komplexität moderner Gesellschaften allenfalls ein bestimmtes Maß an Partizipation zuträglich. Insbesondere erkenntnistheoretische Gründe werden angeführt, warum Partizipation demnach auf die Elitenauswahl beschränkt bleibt oder bleiben sollte. Diese wechselseitigen Kritiken können auf die Annahme eines strukturellen Dualismus einerseits, von epistemologischer Inkompatibilität andererseits zugespitzt werden.
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Unwillkommene Wahrheiten oder maßlose Übertreibungen?
8 Seiten | Autor: Thomas Schubert
Am 22. Oktober 2008 war ich Gast einer Veranstaltung in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam, zu der diese und die Friedrich- Naumann-Stiftung eingeladen hatten. Mit Sicherheit war ich nicht der Einzige, der sich noch im Nachhinein darüber wunderte, wovon er an diesem Abend Zeuge wurde. Die Veranstaltung war in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert, was damals zur Sprache kam, ist heute nicht weniger aktuell. Im Vorausblick auf das anstehende Gedenken an Revolution, Systemtransformation und deutsche Einheit möchte ich diesen Abend nochmals vergegenwärtigen. Um die wichtigste Beobachtung vorwegzuschicken: Für ein gelungenes Gespräch über die Erfahrungsgrenzen von vierzig Jahren deutscher Teilung hinweg scheint vor allem eines noch auszustehen – das Gespräch der Ostdeutschen untereinander über ihre Revolution 1989 und die Folgen.
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„Grüner New Deal“?
12 Seiten | Autor: Andreas Willnow
Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist eine Realität, die die westeuropäischen Regierungen dazu zwingt, Milliardenpakete zur Rettung der Banken und der Unternehmen des produzierenden Gewerbes sowie zur Ankurbelung der Konjunktur aufzulegen. Gleichzeitig hat die Finanzkrise verdrängt, dass es eine noch viel größere Krise gibt, welche die natürlichen Lebensgrundlagen viel stärker bedroht als die Finanzkrise: die Klimakrise. In diesem Aufsatz sollen die verschiedenen Positionen im Hinblick auf mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Suche nach einem Herangehen an Finanz- und Klimakrise geordnet und strukturiert werden. Es wird gefragt: Welche Ansätze werden zur Bewältigung der Klimaschutzproblematik vorgeschlagen, die vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise verfolgt werden sollen? Welche Position ist vor dem Hintergrund der schwelenden Klima- und Finanzkrise ökonomisch und ökologisch am ehesten tragbar?
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Die globale Energiewende und die politische Agenda von Barack Obama
5 Seiten | Autor: Rainer Land
Der „New Deal“, der in den 1930er Jahren aus der Weltwirtschaftskrise (1929–1938) führte, basierte auf der Kombination eines neuen technisch-ökonomischen mit einem neuen sozial-ökonomischen Modell. Das technischökonomische Modell war die fordistische Massenproduktion, die „economy of scale“ und das dazu gehörige Muster industrieller Forschung, Entwicklung, Produktion und Nutzung der Natur. Das sozialökonomische Modell war die Teilhabe der Arbeiter an der wirtschaftlichen Entwicklung in Form steigender Einkommen, wachsenden Konsums und besserer sozialer Absicherung: die produktivitätsorientierte Lohnpolitik und der Wohlfahrtsstaat. Natürlich war dieses Resultat nicht Ergebnis absichtsvoll geplanter politischer Entscheidungen – weder des Präsidenten Roosevelt noch der US-amerikanischen Wirtschaftsbosse noch der Wähler oder der Bevölkerung. Es war das Ergebnis sozio-ökonomischer und politischer Entwicklung (im Sinne Schumpeters), also eines Evolutionsprozesses unter den Bedingungen einer tiefen Weltwirtschaftskrise, einer – wenn man so will – systemischen Krise des Kapitalismus, der zweiten systemischen Krise nach dem Ersten Weltkrieg, den Revolutionen und der deutsch-österreichischen Inflation.
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