Berliner Debatte Initial
Gesampelte Gesellschaft
6 Seiten | Autor: Katharina Beier
Die Sammlung und Archivierung menschlicher Körperteile und -gewebe zu medizinischen Lehr- und Forschungszwecken hat eine mehrere Jahrhunderte zurückreichende Tradition. Nichtsdestotrotz hat diese Praxis immer wieder auch Kontroversen ausgelöst, so etwa die vom Anatomen Gunther von Hagen initiierte Wanderausstellung plastinierter menschlicher Körper. Aber auch jenseits solch spektakulärer Fälle ist die Anlage anatomischer und pathologischer Sammlungen von menschlichen Substanzen – zum Beispiel von Körperteilen oder Tumorgeweben – nicht unproblematisch. So wurden diese Sammlungen, die heute in jedem größeren Krankenhaus zu finden sind, häufig ohne die informierte Einwilligung der Patienten aufgebaut bzw. die im Zuge von Operationen anfallenden „Restmaterialien“ lange Zeit ohne Wissen der Patienten der Forschung zugeführt. Die zunehmende Kontroversität dieser Praxis innerhalb des letzten Jahrzehnts ist vor allem das Resultat eines durch neue (genetische) Analyseoptionen sowie Fortschritte in der Massendatenverarbeitung hervorgerufenen Paradigmenwechsels. Dieser betrifft sowohl die Organisationsstruktur als auch die Anwendungsmöglichkeiten biologischer Materialsammlungen.
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Stephan Truninger: Die Amerikanisierung Amerikas.
4 Seiten | Autor: Oliver Römer
Die „diffuse Rede“ von Amerikanisierung bildet den Ausgangspunkt von Stephan Truningers Buch. Häufig wird sie verwendet, als ob es unter den zeitgenössischen weltgesellschaftlichen Bedingungen um einen Prozess der zunehmenden Anpassung nichtamerikanischer Gesellschaften an die amerikanische „Führungsgesellschaft“1 gehe. Wie der Titel bereits andeutet, möchte Truninger diesen Pfad soziologischer Modernisierungstheorien, aber auch zeitgenössischer antiamerikanischer Ressentiments verlassen, indem er die Perspektive umkehrt und die „Amerikanisierung Amerikas“ als historischen Prozess wieder aufnimmt, der jedoch „kein Prozess [ist], der einmal stattgefunden hat und nun zu Ende ist, vielmehr schreitet er immer noch fort“. Die leitende Intention ist der Tatsache geschuldet, dass es nur schwer möglich ist, von einem einheitlichen Traditionszusammenhang zu reden, der einen Kern oder die Essenz der amerikanischen Gesellschaft ausmachen könnte und dann in einem zweiten Schritt noch auf andere, ursprünglich nichtamerikanische Gesellschaften zu übertragen wäre. Den zeitgeschichtlichen Kontext, den Truninger seiner Analyse einer fortschreitenden Genese Amerikas zugrunde legt, bildet die Phase des melting pot – also vom Beginn der 1890er Jahre bis zur Ära des New Deal in den 1930er Jahren.
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Heinrich Parthey, Günter Spur, Rüdiger Wink (Hg.): Wissenschaft und Innovation. Jahrbuch 2009
4 Seiten | Autor: Sven Trantow
Innovationen gelten als die neue alte Zauberformel für langfristige Wettbewerbsfähigkeit und eine nachhaltige sozioökonomische Entwicklung. Zumindest in den fortgeschrittenen Industrienationen und Wissensgesellschaften ist man sich einig: Wer nicht innoviert, bleibt auf der Strecke. Dabei sind es nicht nur Unternehmen, die auf den zunehmend dynamischen und komplexen Märkten von heute unter Innovationsdruck stehen. Jeder Einzelne muss innovativ sein, um eigenverantwortlich und geradezu unternehmerisch die Herausforderungen eines (hyper)flexiblen Arbeits- und Privatlebens zu meistern. Teams und Netzwerke versuchen durch Heterogenität und Vielfalt neue Ideen zu schaffen und kooperativ umzusetzen. Ja, letztlich sind es ganze Gesellschaften und Kulturkreise, deren langfristiger sozioökonomischer Wohlstand von der gebündelten Kreativität der Mitglieder und der strategischen Umsetzung ihrer Human- und Innovationspotenziale abhängt. So verlangen aktuell beispielsweise die virulenten Fragen nach einer effizienten Reformierung des Finanzsystems sowie nach neuen Wegen aus der volkswirtschaftlichen Schuldenspirale innovative Antworten. Innovationen sind also weit mehr als nur die Erfindung oder Weiterentwicklung technischer Produkte in Verbindung mit einer erfolgreichen Markteinführung. Sie umfassen letztlich alle Arten neuer Ideen, die in der sozialen, ökonomischen, wissenschaftlichen und politischen Lebenswelt umgesetzt werden.
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Angela Rohr: Der Vogel
2 Seiten | Autor: Wladislaw Hedeler
Nach über zwanzig Jahren beendete die gebürtige Österreicherin Angela Rohr die Arbeit an ihren Erinnerungen. Das Manuskript übergab sie einem Diplomaten der österreichischen Botschaft in Moskau, der es 1982 außer Landes brachte. 1989, vier Jahre nach dem Tod der Verfasserin, erschien das Buch unter dem Titel „Im Angesicht der Todesengel Stalins“. Doch in der die Perestroika begleitenden Flut von Publikationen über Verfolgung und Terror gingen die Erzählungen im wahrsten Sinne des Wortes unter. Weil A. Rohr ob ihrer Erfahrungen mit sowjetischen Instanzen keine Namen nannte und sich hinter dem Pseudonym Helene Golnipa verbarg, blieb die Frage, wer sie wirklich war, viel zu lange unbeantwortet.
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Gerd Irrlitz: Rechtsordnung und Ethik der Solidarität
4 Seiten | Autor: Christine Weckwerth
Zieht man Standardwerke zur Rechts- und Philosophiegeschichte zu Rate, wird man über Arthur Baumgarten (1884-1966) nicht viel erfahren. Baumgarten, einst ein namhafter Rechtstheoretiker, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als einer der wenigen seiner Zunft positiv an die angloamerikanische Tradition des Pragmatismus anschloss, verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend aus dem Theoriediskurs, und zwar im Westen wie im Osten. Auf westlicher Seite befremdete vor allem seine Annäherung an sozialistische Positionen sowie sein Entschluss, nach dem Krieg in die SBZ und spätere DDR überzusiedeln – mehr als diese Übersiedlung irritierte die westdeutschen Juristen-Kollegen nach Gerd Irrlitz wohl, dass Baumgarten dieses Land nicht wieder verließ. Baumgarten wurde bewusst ins Vergessen geschickt, welche Zurücksetzung in der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft und Philosophie bis heute anhält. Auch auf östlicher bzw. marxistischer Seite verhielt man sich zunehmend kritisch zu Baumgarten, seine moralphilosophische und metaphysische Argumentation passte nicht ins dogmatische Schema des Marxismus- Leninismus. Der sozialliberale Denker stand offensichtlich zwischen den Fronten, was sich paradigmatisch an der Publikation seiner großen Philosophiegeschichte aus dem Jahr 1945 zeigte: Dieses Werk fand in der Schweiz keinen Verlag mehr, in der DDR durfte die ausgedruckte Neuauflage 1950 nicht erscheinen und wurde eingestampft. Baumgarten, der seine Schweizer Staatsbürgerschaft nie aufgegeben hat, blieb bis zu seinem Tod dennoch in der DDR, was angesichts der realsozialistischen Entwicklung und seiner verminderten wissenschaftlichen Publikationstätigkeit einen tragischen Zug in sich barg.
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Die „Natur“ als Einzugsgebiet der Soziologie
9 Seiten | Autor: Henri Band
Die Soziologie ist ein sonderbares Fach. Von Zeit zu Zeit wird sie von heftigen Allzuständigkeitsfieberphantasien geschüttelt. Dann wiederum brechen massive Minderwertigkeitskomplexe auf, gepaart mit Selbstvorwürfen an die Zunft, man habe wichtige Entwicklungen verschlafen und Schlüsselfragen ignoriert, die längst schon in der Öffentlichkeit diskutiert und von anderen Wissenschaften erfolgreich bearbeitet werden. Manche soziologische Fachpublikationen erwecken bei einem naiven oder fachfremden Leser den Eindruck, die Disziplin pendele zwischen akademischem Tiefschlaf und halbblindem Aktivismus, verpasse häufig den Zug der Zeit, wisse bis heute nicht sicher, worin ihr Kanon an Gegenständen, Theorien und Methoden besteht, und fange gerade erst an, sich ihrer eigentlichen Aufgaben zu besinnen. Neben der relativen Kleinheit, um nicht zu sagen institutionellen Randständigkeit der Soziologie dürften die Auslegungsoffenheit, Komplexität und Politikrelevanz des eigenen Gegenstandsbereiches mit ursächlich für die kommunikative Anschluss-Panik sein, die unter Teilen der Fachvertreter von Zeit zu Zeit aufkommt. Die Annahme, dass Soziologen nichts Menschliches fremd zu sein habe, verführt manche von ihnen zur Suspendierung der Frage, was der spezifische Erkenntnishorizont einer Wissenschaft des Sozialen sein soll – allen guten Soziologie-Definitionen, die es gleichwohl gibt, zum Trotz.
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Stalin und der Genozid
9 Seiten | Autor: Norman M. Naimark
Dieser Vortrag möchte die argumentativen Hauptlinien eines kleinen Büchleins über Stalin und den Genozid zusammenfassen, das 2010 bei Suhrkamp erscheint.2 Im ersten Teil des Vortrags werde ich über einige – unter anderem konzeptuelle – Probleme sprechen, denen man sich beim Studium eines solchen Gegenstandes gegenübersieht. Der zweite Teil wird die zentralen Schlussfolgerungen des Buches vorstellen.
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Zwanzig Jahre Deutsche Einheit – Rückblick und Ausblick
7 Seiten | Autor: Reinhard Höppner, Wolfgang Herles, Christoph Links, Reinhard Jirgl
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Architektur und Identität – Die Berliner Schlossplatzdebatte
14 Seiten | Autor: Sonja Thiel
Der Palast der Republik ist Geschichte. Er ist gleichsam verschwunden nachdem der Rückbau 2008 beendet wurde. Mit dem Verschwinden des Gebäudes verstummte zunächst auch eine jahrelang erbittert geführte Debatte. Diese begann 1990 mit der Deutschen Einheit. Zum einen ging es darin um die Nutzung des Ortes und die Frage nach der passenden Bebauung. Doch zum anderen wurde anhand dieser Frage ein Streit um Identität geführt – der Palast der Republik wurde als Volkspalast der DDR gebaut und war damit ein Symbol für das gesellschaftliche Leben in der DDR. Hinzu kam, dass in der ebenfalls dort tagenden Volkskammer der Beschluss zur Wiedervereinigung unterzeichnet wurde – der Palast war somit auch ein historischer Ort deutsch-deutscher Identität.
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Architektur und Geschichtspolitik
16 Seiten | Autor: Dominik Scholz
Die Meinungen zum Nikolaiviertel im Herzen Berlins gehen bis heute auseinander. Für viele Berlin-Besucher ist das Gebiet zwischen Rotem Rathaus, Spree und Mühlendamm ein beliebtes Altstadtquartier, das mit seinen zahlreichen gastronomischen Angeboten zum Verweilen in historischem Ambiente einlädt. Unter Stadthistorikern, Denkmalpflegern und Autoren von Reiseführern dagegen wird das Stadtviertel teils belächelt, teils offen für seinen dort gepflegten laxen Umgang mit historischer Originalsubstanz kritisiert. Dieser Artikel verfolgt demgegenüber einen anderen Ansatz: Als Prestigeprojekt des SED-Politbüros hat das Bauensemble seine heutige Form in den 1980er Jahren erhalten, als es unter dem Architekten Günter Stahn für die 750-Jahr- Feier der östlichen Stadthälfte zum zentralen Festort hergerichtet und fast komplett neu erbaut worden ist. Die Gegend, in der Berlin seinen Ursprung hat, war dafür prädestiniert. Sie erhielt jedoch keine Rekonstruktion eines einheitlichen Originalzustands einer bestimmten Epoche, sondern war explizit ein Neubau, der ausgewählte historische Bezüge aufweisen sollte. Es handelt sich somit um einen Ort, der viel über die offizielle Sichtweise der DDR-Führung auf die eigene Geschichte verrät – und mehr noch: Das historisierende Nikolaiviertel ist ein Ort, so die These dieses Artikels, an dem Geschichte für politische Zwecke instrumentalisiert worden ist. Es ist Ausdruck einer Geschichtspolitik, die mit architektonischen Mitteln betrieben worden ist.
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