2013

Wohin mit den Gefühlen?

Vergangenheit und Zukunft des Emotional Turn in den Geschichtswissenschaften

10 Seiten | Autor: Benno Gammerl, Bettina Hitzer

Wie die meisten Paradigmenwechsel verknüpft sich auch der Emotional Turn mit radikalen Ansprüchen. Ob als Kampfansage an eine durchrationalisierte Moderne, als Klage über kapitalistisch, heterosexistisch und rassistisch bedingte Gefühlsverkrüppelungen oder als Provokation innerhalb objektivitätsversessener und logozentrischer Wissenschaftskulturen – Gesten der herausfordernden Überschreitung begleiten die Gefühlswende seit ihren Anfängen.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

Bürger als zärtliche Väter?

Tagebücher, Briefe und Autobiographien des 19. Jahrhunderts im Vergleich

10 Seiten | Autor: Nina Verheyen

Vaterliebe ist heutzutage ein Politikum. Mit der Kampagne „Mehr Spielraum für Väter“ versuchte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstmals vor über zehn Jahren, Männer gezielt zum Erziehungsurlaub zu animieren. Bundesweit geklebte Plakate präsentierten einen gepflegten Herrn mit Geheimratsecken in verschiedenen, aber stets vom Nachwuchs bestimmten Lebenslagen. Als ein an den Rändern zum Ausschneiden markiertes Bastelbild wurde der besagte Mann zum Beispiel in die Fotografie eines im Sandkasten hockenden Kindes montiert. In eckigen Klammern raunte das Ministerium den Betrachtern suggestiv die Frage zu: „Wäre es nicht schön, wirklich dabei zu sein?“ Das Ministerium versuchte also, über den Appell an väterliche Gefühle die Bereitschaft zur Kinderbetreuung zu erhöhen. Auch die Medien beleuchteten die Liebe der Väter in dieser Perspektive. So publizierte das Magazin GEO zeitgleich eine große Reportage über eine „neue, bunte Väter- Generation“, die sich nicht länger in die Rolle des „emotionalen Außenseiters der Familie“ füge. Vielmehr begleite sie den Nachwuchs „intensiv, gefühlvoll und aufmerksam“ wie nie zuvor.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

Vorbildliche Gefühle

Monarchen als Modelle des Affektmanagements

14 Seiten | Autor: Rüdiger Zill

Am 30. Juni 1960 kam Baudouin I., König der Belgier, nach Leopoldville, heute Kinshasa, um die Kolonie Belgisch-Kongo in die Unabhängigkeit zu entlassen. Der Akt wurde gekrönt von einer Parade, bei der Baudouin im offenen Cabriolet durch die Stadt fuhr. Plötzlich näherte sich ein junger Mann, entriss ihm seinen Säbel und rannte mit seiner Beute davon. Der Fotograf Robert Lebeck stand zufällig am Wegesrand und schoss geistesgegenwärtig ein paar Aufnahmen von dieser Szene. Was so als Schnappschuss entstand, ist durch die Situation in hohem Maße zum Sinnbild geworden. Was dem kongolesischen Volk ursprünglich gegeben werden sollte, die Unabhängigkeit, hat es sich selbst genommen, zumindest in dem symbolischen Akt eines seiner Mitglieder. Doch wenn man die Aufnahmen mit einer anderen Szene vergleicht, zeigt sich in ihnen noch ein Aspekt, der nicht unmittelbar politisch zu deuten ist, aber eine historische Tiefendimension aufscheinen lässt.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

Prekäre Gefühle

Die Wirklichkeit der Innerlichkeit

12 Seiten | Autor: Veronika Zink

Im Zuge der viel zitierten „Entzauberung der Welt“ und der damit verbundenen Rationalisierung, Funktionalisierung und Zivilisierung eines vermeintlich modernen Blicks auf die Wirklichkeit, wurde den Gefühlen, folgt man soziologischen Zeitdiagnosen, ein sekundärer und nicht zu berücksichtigender Status zugesprochen. Dem Emotionalen wurde hierbei keine Bedeutung beigemessen. Es galt höchstens als eine dysfunktionale und zu kontrollierende Instanz. Die Blickrichtung scheint sich jedoch verändert zu haben, was uns nicht zuletzt durch den heraufbeschworenen Paradigmenwechsel eines Emotional Turn vor Augen geführt wird. Ganz allgemein, sehen wir uns mit einer sich verändernden kulturellen Bedeutung des Emotionalen und den damit verbundenen Formen der Emotionalisierung konfrontiert. Das Gefühl ist omnipräsent: Kaum eine mediale Werbebotschaft, die ohne den Verweis auf das Label ‚Emotion‘ auskommt, kaum ein Großereignis, das nicht mit emotionalen Codes beladen würde. Auch abseits der medialen Pfade appellieren wir beständig an die Gefühle und das emotionale Verstehen unseres Gegenübers und versuchen ebenso, unser kerninneres Empfinden möglichst effektreich nach außen zu tragen.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

„How does it feel?“

Zur sozial- und gefühlstheoretischen Problematik einer heiklen Frage

12 Seiten | Autor: Benjamin C. Seyd

Die Frage, wie etwas sich anfühlt, ist eine unscheinbare, alltägliche. Da mag es überraschen, dass ausgerechnet die Phrase „How does it feel?“ emblematischen Charakter für eines der einflussreichsten Oeuvres des 20. Jahrhunderts angenommen hat: Herangezogen, wo immer es darum geht, Bob Dylan auf den Punkt zu bringen. Dabei sind diese vier Worte weder Titel eines Songs noch eines Albums. Stattdessen sind sie die Schlüsselzeile eines Schlüsselsongs, nicht nur von Dylan, sondern womöglich einer ganzen Generation: „Like a Rolling Stone“, erschienen 1965 auf dem Album „Highway 61“.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

Staat und Transformation in Russland

19 Seiten | Autor: Klaus Müller

Mehr als zwanzig Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion ist ihr Nachfolger ein nicht weniger suspektes Objekt geblieben. Die gängigen Beschreibungen des russischen Staats bewegen sich in historischen Analogien, unterscheiden kaum zwischen Staat, Politik und Regime, sind hochgradig personalisiert und von politischen Wertungen durchzogen. In der politischen Öffentlichkeit und in außenpolitischen Statements westlicher Regierungen, aber auch in der wissenschaftlichen Literatur, begegnet man pauschalisierten Stellungnahmen, die nicht nur begrifflich unbefriedigend sind, sondern auch fatale politische Perspektiven transportieren. Das vorherrschende Bild zeigt einen Rückfall vom demokratischen Aufbruch der 1990er Jahre in eine erneuerte „Autokratie“, in der Vladimir Putin mithilfe seines Geheimdienstes nicht nur den Staat übernommen, sondern auch weite Bereiche der Wirtschaft unter seine Kontrolle gebracht hat. Innenpolitisch eine Autokratie, wirtschaftlich ein ‚Petro-Staat’, außenpolitisch auf imperiale Restauration programmiert, wurde Russland vom Republikanischen Präsidentschaftskandidaten der USA als „geopolitischer Gegner No 1“ identifiziert. Wie kommt es, dass Russland zwei Jahrzehnte nach Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts, nach dem Rückzug seiner Truppen aus Ostdeutschland, Mittelosteuropa, Vietnam und Cuba, wiederum in der Sprache des Kalten Kriegs beschrieben wird?

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

Souveräne Demokratie, Populismus und Depolitisierung

Der russische politische Diskurs unter Putin

10 Seiten | Autor: Philipp Casula

Zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion scheint Russland weiter entfernt denn je von der Etablierung eines demokratischen Systems nach westlichem Vorbild. Russland und der post-sowjetische Raum sind durch hybride Regimes charakterisiert, und ein weiterer Wandel in Richtung Demokratie zeichnet sich nicht ab. Dennoch wäre es falsch zu glauben, die letzten Jahre seien von politischer Stagnation geprägt gewesen. Russland ist vielmehr von einer politischen Dynamik gekennzeichnet, nicht zuletzt im Übergang der Präsidentschaft Boris Jelzins zu jener Wladimir Putins. Zwar wird die Periode nach 2000 oft als eine Phase der „Stabilisierung” angesehen, dies bedeutet aber zunichte einen politischen Stillstand.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

Transformationsforschung jenseits des Transitionsparadigmas

Kommentar zu Casula und Müller

4 Seiten | Autor: Andreas Pickel

Wie die beiden Beiträge von Philipp Casula und Klaus Müller erneut zeigen, war der auf Marktwirtschaft und Demokratie ausgerichtete westliche Transformationsdiskurs schon von Anfang an nicht in der Lage, wissenschaftliche Erklärungen der Entwicklungen der späten Sowjetunion und Russlands seit den späten 1980er Jahren zu produzieren. Der Hauptstrom der inner- wie außerakademischen Transformationsdebatten fand unter ideologischen Vorzeichen statt. Obwohl Ideologien auch wichtige Erklärungsfunktionen beinhalten, bleibt ihr oberster Zweck ein politischer. So kam es, dass dieselbe Sowjetunion, die bis spät in die 1980er Jahre als im Wesentlichen unveränderbar galt, in den frühen 1990er Jahren plötzlich in einem völlig neuen Licht erscheinen konnte. Die inzwischen zerfallene Sowjetunion und insbesondere Russland, die man im Schnellzug zu westlicher Marktwirtschaft und Demokratie sah, erhielten nun vom Westen großzügige finanzielle Hilfe und viele gute Ratschläge von Experten, die glaubten, über Transformationswissen zu verfügen. So flexibel kann ideologisches Denken sein. Dieselben westlichen Politiker und Intellektuelle, die sich Jahrzehnte lang an einem umfassenden Feindbild der Sowjetunion abgearbeitet hatten, waren nun bereit, sich die Mär der Erlösung von allem Übel mit Hilfe einer aufgeklärten russischen Führung und einer professionellen Transitionsstrategie zu eigen zu machen. Kein ernstzunehmender wissenschaftlicher Ansatz könnte eine so radikale kognitive Kehrtwende vornehmen, ohne seine theoretische Glaubwürdigkeit zu verlieren.

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Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

Wachstum und Wohlfahrt

16 Seiten | Autor: Ulrich Busch

Der britische Ökonom, Philosoph und Soziologe John Stuart Mill gelangte in seinem ökonomischen Hauptwerk „Principles of Political Economy“ 1848 zu der Einschätzung, dass der wirtschaftliche Fortschritt „seiner Natur nach nicht unbeschränkt“ sei und „die Zunahme des Vermögens nicht grenzenlos“. Vielmehr liege „am Ende des sogenannten Fortschrittszustandes der stationäre Zustand“ und jeder Fortschritt sei „nur ein Hinausschieben“ desselben und „jeder Schritt nach vorn eine Annäherung an ihn“.

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Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

„Wir sind hier doch nich‘ im Ghetto“

Über urbanes Leben und Boxgyms in den USA

13 Seiten | Autor: Joseph D. Lewandowski

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass professionelles Boxen, zumindest in den USA, untrennbar mit den Veränderungen des urbanen Lebens verbunden ist. Die US-Boxclubs sind seit über einem halben Jahrhundert mehr als nur physische Orte, die ein typischer Bestandteil des amerikanischen Großstadtmilieus sind. Wesentlich wichtiger ist, dass die Boxclubs und der Boxsport in den USA von einer ausgesprochen urbanen Kulturlandschaft geformt wurden, von einer Landschaft, die oft als „das Ghetto“ bezeichnet wird, oder – im Slang heutiger Ghettobewohner – als „the hood“1. Die fortdauernde Verwandlung der US-amerikanischen Ghettos in „Hoods“ hat nicht nur Auswirkungen auf das stark veränderte kulturelle Milieu heutiger Städte, sondern auch auf den professionellen Faustkampf – die vermutlich urbanste aller amerikanischen Sportarten.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten