Berliner Debatte Initial
Zur Veränderung des Theoriebegriffs im Zeitalter von Big Data und effizienten Algorithmen
13 Seiten | Autor: Klaus Mainzer
Wir leben in einem datengetriebenen Zeitalter, dessen Entwicklung durch exponentielle Wachstumsgesetze von Datenmengen, Rechner- und Speicherkapazitäten beschleunigt wird. Manchen Autoren halten theoretische Fundierungen bereits für überflüssig, da in der Wirtschaft immer effizientere Algorithmen immer schneller immer bessere Kunden- und Produktprofile voraussagen. In der Wissenschaft prophezeien Autoren wie S. Wolfram eine neue Form der Forschung, die ebenfalls nur noch auf effiziente Algorithmen und Computerexperimente setzen, die angeblich „traditionelle“ mathematische Theorien überflüssig machen. Diese Parolen sind brandgefährlich, haben aber einen richtigen Kern. Gefährlich sind diese Positionen, weil Theorien ohne Daten zwar leer sind, aber Daten und Algorithmen ohne Theorie blind bleiben und unserer Kontrolle entgleiten. Richtig ist, dass sich der traditionelle Theoriebegriff in vielfacher Weise verändert, sowohl beim Entdecken und Finden von Hypothesen durch Machine Learning als auch bei theoretischen Erklärungen durch Computerexperimente und der Voraussage durch Predictive Analytics. Entscheidend ist aber vor allem die Prüfung und Kontrolle von Algorithmen, die durch neuartige Theorien möglich werden. Nur so können wir sicher sein, dass uns am Ende Big Data mit ihren Algorithmen nicht um die Ohren fliegen.
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Führt Big Data zur abduktiven Wende in den Wissenschaften?
15 Seiten | Autor: Christian Wadephul
Big Data als Theorieersatz? Mitnichten! Big Data-Analysen (BDA) können im schlechtesten Fall zur Apophänie führen, im besten Fall zu einer neuen deskriptiven Perspektive auf Datensätze – sie geben aber niemals kausale Erklärungen oder rationale Begründungen. Bedeutung erlangen sie nur innerhalb eines Theorierahmens. Inwiefern Big Data dennoch eine methodische Herausforderung für die Wissenschaft ist, soll im Folgenden dargelegt werden. Dazu werden die (technischen) Voraussetzungen von BDA-Methoden grob skizziert – vor allem maschinell lernende Artefakte (MLA). Diese ‚lernen’ abduktiv. Was bedeutet die abduktive Wende in der KI-Forschung? Was könn(t)en BDA als (interdisziplinäres) abduktiv-exploratives Forschungsinstrument methodologisch auch für die (Sozial-)Wissenschaft leisten? Welche wissenschaftstheoretischen Probleme daten-basierter Informationsgewinnung gilt es zu beachten? Kommt es durch BDA und MLA zu einer Prekarisierung von Wissenschaft durch fehlende Kontrolle und Überprüfbarkeit – bei gleichzeitiger Erwartung einer Angemessenheit von BDA-Ergebnissen?
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Alles nur Datenschutz?
16 Seiten | Autor: Roland Broemel, Hans-Heinrich Trute
Wissensgenerierung unter Einsatz von Algorithmen ist zwar keine gänzlich neue Praxis, wohl aber eine, deren Bedeutung zunimmt und deren Reichweite erst langsam in den Fokus der rechtswissenschaftlichen Beobachtung rückt. Anders als in den USA, wo es seit Jahren eine lebhafte Debatte um den Einsatz und mögliche Regulierungsnotwendigkeiten von Algorithmen gibt, dominiert in Deutschland der datenschutzrechtliche Aspekt. Damit wird eine inputorientierte Problemperspektive gewählt. Es liegt allerdings auf der Hand, dass zentrale Prämissen des Datenschutzrechts brüchig werden, in einer digitalisierten Welt, in der der Einzelne nicht selten „freiwillig“ und freigiebig Datenspuren hinterlässt. Am Beispiel von Scoring-Technologien (etwa bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit) wird deutlich, dass es oftmals nicht auf personenbezogene Daten (und ihre Kumulation) ankommt. Die anonymisierte Clusterbildung über algorithmisierte Wissensgenerierung kann zur Bildung von Klassifikationen führen, die dem Einzelnen als Wissensbestände einer Risikoeinschätzung gegenübertreten, ohne dass die Betroffenen die Konstitutionsbedingungen übersehen können. Über die Begrenzung des Inputs an personenbezogenen Daten ist dies nicht zu steuern.
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Algorithmische Subpolitik: Big Data als Technologisierung kollektiver Ordnungsbildung?
11 Seiten | Autor: Stefan Böschen, Georg Huber, René König
Daten sind kein Wissen. Big Data ist nicht schon wissenschaftliche Erkenntnis, sondern hat auch eine politische Dimension. Dieser Beitrag fragt, wie sich Big Data-Technologie und deren Folgen aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht verstehen lassen. Die soziale Wirksamkeit von Algorithmen wird dabei in den Vordergrund gestellt. Es gelte, die Governance mit und durch Algorithmen zu betrachten. Um diese Wirksamkeit aufzuschließen, greifen die Autoren auf Ulrich Becks Konzept der Subpolitik zurück, das das politische Wirken der „Neuen Sozialen Bewegungen“ der 1980er Jahre zu erfassen suchte. Die heutigen Big Data-Algorithmen deuten die Autoren als eine Form passiv-struktureller Subpolitik. Als solche sind mit Big Data operierende Algorithmen eine Form von Politik, die sich selbst nicht als politisch begreift, wohl aber gesellschaftliche Verbindlichkeiten schafft. Weder sind Plattformen des Cyberaktivismus wie Avaaz neutrale Plätze der politischen Selbstorganisation noch präsentieren Online-Suchmaschinen wie Google im Hinblick auf politische Inhalte neutrale Trefferlisten. Big Data macht, so das Argument des Textes, Politik, ohne sich als politisch auszuweisen.
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Digitale Gesellschaft und Big Data: Thesen zur Zukunft der Soziologie
7 Seiten | Autor: Jochen Mayerl, Katharina Anna Zweig
Jochen Mayerl und Anna Katharina Zweig stellen drei Thesen zur Zukunft der Soziologie in der digitalen Gesellschaft auf. Sie wenden sich damit gegen ein selbstverschuldetes Abdanken der Soziologie als Leitdisziplin für das Erklären und Verstehen des Sozialen. Soziologische Datenerhebungen sind bislang nicht einmal ansatzweise als Big Data zu qualifizieren. Big Data mag aus soziologischer Sicht unsauber sein, doch sind die soziologischen Samples oft ebenso nicht frei von Mängeln. Eine Berechnung der Gesellschaft kann zwar heute wie es scheint potentiell auch von Informatikern geleistet werden, doch ginge dabei das theoretische Know-how der Soziologie verloren. Mayerl und Zweig halten daher die Entwicklung von interdisziplinären Forschungsprojekten für den besseren Weg. Nur so könnten die neuen technologischen Möglichkeiten von Big Data mit dem theoretischen Erfahrungsschatz der Soziologie sinnvoll kombiniert werden.
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Big Data als Theorieersatz
80 Seiten | Autor: Stefan Böschen, Roland Broemel, Georg Huber, René König, Klaus Mainzer, Jochen Mayerl, Thomas Müller, Gregor Ritschel, Jan-Felix Schrape, Hans-Heinrich Trute Christian Wadephul, Katharina Anna Zweig
Die sieben Beiträge des Schwerpunkts zum Vorzugspreis - Big Data ist zum Schlagwort für das Sammeln und Auswerten enormer Datensätze geworden, die aus den digitalen Aktivitäten der Menschen gefiltert und von Algorithmen auf Muster hin analysiert werden. Wirtschaft, Politik, Alltagskommunikation, Öffentlichkeit, Kultur und Sport – all das wird von Big Data Schritt für Schritt durchdrungen. Doch was bedeutet Big Data für Wissenschaft und Forschung, vor allem: für die Sozial- und Geisteswissenschaften? Diese Frage steht im Mittelpunkt des aktuellen Themenschwerpunkts. Sie zu stellen, liegt nicht zuletzt deshalb nahe, weil sich mit dem Aufstieg von Big Data eine Provokation verbindet, die direkt auf das Selbstverständnis der Sozial- und Geisteswissenschaften zielt. Auf den Punkt gebracht hat sie der britische Journalist und Unternehmer Chris Anderson vor fast zehn Jahren, als er mit markigen Worten das Ende der Theorie und die Überflüssigkeit wissenschaftlicher Methoden verkündete. Die sieben Beiträge fragen einerseits, was von der steilen These, Big Data trete an die Stelle der Theorie, zu halten ist. Andererseits erkunden sie soziale, rechtliche und politische Implikationen von Big Data und demonstrieren damit, dass sozial- und geisteswissenschaftliche Analysen nicht überflüssig werden, sondern nötig sind, um Big Data zu begreifen.
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Vielsagendes Schweigen?
9 Seiten | Autor: Marcy S. Sacks
Am 22. Juni 1938 besiegte Joe Louis im New Yorker Yankee Stadium Max Schmeling in 124 Sekunden im Kampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewichtsboxen. Damit nahm er auf überzeugende Weise Revanche für seine am gleichen Ort erlittene K.o.-Niederlage vom 19. Juni 1936. Sein Sieg war zugleich ein Symbol für die Bereitschaft der USA, sich den Weltmachtsansprüchen Nazi-Deutschlands entschlossen zu widersetzen. Die amerikanische und die deutsche Erinnerung an diese zwei Kämpfe und ihre Protagonisten unterscheidet sich bis heute beträchtlich. Das zeigt sich nicht allein in der abweichenden Gewichtung der zwei Begegnungen, sondern – den verschiedenen, wenn auch zusammenhängenden Sachgeschichten der Länder entsprechend – in der Bewertung der beiden Boxer. Marcy S. Sacks stellt in ihrem Aufsatz eine inneramerikanische Perspektive auf den ersten „allamerikanischen“, von Weißen wie Schwarzen bewunderten Sporthelden vor. Die Historikerin zeigt anhand von Presserecherchen, wie es in einer von Weißen dominierten Öffentlichkeit gelang, die Bedeutung der sensationellen Erfolge des Afro-Amerikaners Joe Louis so zu interpretieren, dass sie nicht als Bedrohung weißer Vorherrschaft wahrgenommen werden konnten, sondern als deren Bestätigung.
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„Vertraulichkeiten zwischen der Kunst und dem Leben“?
10 Seiten | Autor: Fritz Mierau
Der Übersetzer und Herausgeber Fritz Mierau zeichnet die Rezeption des russischen "Futuristen der jüngeren Linie" Sergej Tretjakow (1892-1937) in der DDR nach. Tretjakow erlangte Mitte der 1970er Jahre mit seiner "Ästhetik der Operativität" unter Intellektuellen und Künstlern der DDR eine denkwürdige Prominenz. Innerhalb kurzer Zeit kam es zu einer Reihe von Übersetzungen. An ihnen hatte Mierau wesentlichen Anteil. Er schildert als Beteiligter die verschlungenen Wege der Wiederentdeckung Tretjakows, der Debatten um ihn sowie den "utopischen Zauber", der von Tretjakows "Lebenskunstentwurf", dessen Konzept einer Durchdringung von Kunst und Leben, ausging.
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Eine kurze Genealogie und Anatomie des Habitusbegriffs
7 Seiten | Autor: Loïc Wacquant
Die philosophischen Ursprünge des Habitusbegriffs zu ergründen und dessen erstmalige Verwendung durch Bourdieu zu betrachten, der damit die historische Bruchlinie des algerischen Befreiungskrieges wie die Nachkrieges-Modernisierung des ländlichen Frankreichs zu beschreiben suchte, kann dabei behilflich sein, vier weithin geteilte Missverständnisse bezüglich des Begriffs aufzuklären. (1) Der Habitus ist niemals eine Replikation einer einzigen sozialen Struktur, sondern vielmehr ein dynamisches, multiskaliertes und vielschichtiges Set von Schemata, dass einer permanenten Revision in der Praxis unterworfen ist. (2) Der Habitus ist nicht notwendigerweise kohärent und einheitlich, sondern weist vielmehr variierende Grade von Verflechtungen und Spannungen auf. (3) Weil der Habitus nicht immer deckungsgleich mit dem ihn umgebenden Kosmos ist, in dem er sich entwickelt, eignet er sich gleichermaßen dafür, sozialen Wandel und Krisen zu erfassen wie Prozesse der Kohäsion und der Perpetuierung. (4) Schließlich ist der Habitus nicht als ein selbstgenügsamer Mechanismus der Generierungen von Handlungen zu verstehen: Die Untersuchung von Dispositionen muss stets in einer engen Verbindung mit einer parallelen Kartierung des Systems sozialer Positionen vorgehen, die die jeweiligen Fähigkeiten und Neigungen der Akteure entweder anregen, unterdrücken oder überschreiben. Grundlegend ist, dass der Habitusbegriff Bourdieus nicht als ein abstraktes Konzept zu verstehen ist, das auf einer theoretischen Ebene verbleibt, sondern als Skizze einer Forschungsperspektive, die die Genese des Denkens in das Zentrum sozialer Analysen stellt.
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Kapitalismusvarianten, Gender und die gesellschaftliche Bedeutung sozialer Dienste
15 Seiten | Autor: Cornelia Heintze
Seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 und verstärkt seit dem Machtzuwachs rückwärtsgewandter neurechter Kräfte hat sich die Debatte um Kapitalismus, Ungleichheit und die sozialen Risiken des neoliberalen Globalisierungsprojektes intensiviert. Überwiegend dominieren in diesem Diskurs Einschätzungen einer weitgehend festgefügten neoliberalen Hegemonie, der von links im historischen Rückblick das Ideal einer in der Nachkriegszeit kurzfristig ausgeprägten Kombination von fordistischem Kapitalismus und keynesianischer Wohlfahrtsstaatlichkeit entgegengestellt wird. Der Beitrag zeigt, dass diese Einschätzungen empirisch nicht zureichend belastbar sind. Sie resultieren aus einem Denkrahmen, der einseitig vom Markt her argumentiert und die Genderthematik bestenfalls als Appendix behandelt. Wird die Genderthematik aus dem toten Winkel herausgeholt und der Analyserahmen um die Rolle des Staates als Arbeitgeber und Produzent von Gütern erweitert, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Der Siegeszug des Neoliberalismus ist nicht so durchgängig wie behauptet und es bestehen Potentiale fort, der Marktlogik durch eine feministisch geprägte Form des dienstleistenden Nationalstaates Schranken zu setzen.
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