2012
Luxus und Verschwendung – ein Klassifizierungsvorschlag
6 Seiten | Autor: Michael Jäckel
Im Jahr 1753 schrieb die Akademie von Dijon einen Wettbewerb zur Frage „Was ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen?“ aus. Um diesen „Prix de morale“ bewarb sich auch der Philosoph Jean-Jacques Rousseau. Sein Zeitgenosse Denis Diderot hielt die Fragestellung unter den Bedingungen einer Monarchie für nicht behandelbar. Ähnlich wäre es wohl auch der Frage „Was ist Luxus?“ ergangen, die Diderot auf seine Weise in seinem Essay „Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern“ dennoch streifte. Das Neue wirkt vor dem Hintergrund des Vorhandenen als Störenfried einer Situation, in der sich alles wohl zueinander fügte: „Verfluchtes Luxuskleid, dem ich meine Reverenz erweise! Wo ist er hin, mein bescheidener, mein bequemer Wollfetzen?“ klagte er ob der Unordnung, die der Abschied von Vertrautem mit sich bringen kann. Je wohlhabender Gesellschaften werden, desto häufiger werden diese und ähnliche Fragen gestellt. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit bestätigt das.
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Ideologiekritik und/oder Diskursanalyse?
12 Seiten | Autor: Ruben Hackler
Bei einem Blick in die Forschungsliteratur der letzten 20 Jahre zeigt sich, dass Ideologiekritik nur auf mäßiges Interesse stößt, noch weniger auf expliziten Zuspruch. Zwar wird weiterhin über Ideologiekritik diskutiert und geschrieben, doch meistens wie über ein weit zurückliegendes Ereignis, und dass jemand an einem Gegenstand tatsächlich Ideologiekritik betreiben würde, ist eher die Ausnahme. Berührungsängste und Vorurteile dürften da ein großes Hindernis sein, aber nicht nur, denn eine der entwicklungsfähigen Alternativen zur Ideologiekritik heißt heute Diskursanalyse. Während es Mitte der 1990er Jahre noch nötig war, die Diskursanalyse als Methode zu rechtfertigen, sehen sich umgekehrt nun diejenigen in der Bringschuld, die etwas als Ideologie kritisieren wollen. Dabei lässt sich nicht behaupten, Ideologiekritik sei durch die Diskursanalyse theoretisch überwunden worden. Vielmehr trifft das zu, was der Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn über Paradigmenwechsel festgestellt hat: Ein neues Paradigma setzt sich durch, weil sich damit bestimmte wissenschaftliche Probleme lösen lassen, doch ist es nicht in der Lage, das alte Paradigma vollständig zu ersetzen. In der Praxis sind daher mehrere Paradigmen gleichzeitig aktiv. Auch wenn sich Kuhn in seinen Ausführungen auf die fortschrittsorientierten, „harten“ Naturwissenschaften bezogen hat, ist nicht auszuschließen, dass auch „weiche“ geisteswissenschaftliche Konzepte wie Ideologiekritik und Diskursanalyse koexistieren oder sogar zusammengeführt werden können. Solche Synthesebestrebungen sind nur, wer hätte es nicht bereits geahnt, noch seltener als praktizierte Ideologiekritik.
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Die Politisierung der Angst in der Moderne
13 Seiten | Autor: Veith Selk
Angst ist ein unbehagliches Gefühl, das mit der Vorstellung oder Erwartung eines entweder tatsächlich oder nur scheinbar drohenden Übels verbunden ist. Es lässt unterschiedliche Grade der Intensität zu, kann vom sorgenden Zweifel über eine Stimmung der Ängstlichkeit bis hin zum plötzlichen Schrecken reichen. Aus diesem Grunde ist die manchmal vorgenommene Engführung von Angst mit Schrecken oder Panik irreführend, denn sie blendet viele andere Formen der Angst aus. Diese sind häufiger, wenn auch nicht immer offen thematisierter Begleiter des Alltagslebens. Man denke etwa an die Angst, in einem Bewerbungsgespräch zu versagen, sich mit dem Gedanken an diffuse Risiken im Hinterkopf und einem unangenehmen Gefühl im Magen in ein Flugzeug zu setzen, oder schließlich die Sorge, in einigen Jahren die Rechnung über die Vorliebe für Rotwein und die Abneigung gegenüber Fitnessstudios präsentiert zu bekommen.
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Janet Ward: Post-Wall Berlin.
3 Seiten | Autor: Olaf Briese
Berlin war und ist ein Mauerstandort hohen Rangs. Die innerstädtische Mauer, die ab 1961 schrittweise wuchs, war die signifikanteste in einer Reihe von Innen- und Außenmauern, die das Antlitz der Stadt prägten und prägen. Denn Grenzen gehören zu Sozialorganismen unabdingbar hinzu, und Mauern sind materiell und sichtbar gewordene Grenzen. Diese aus dem Feld von „Urban Studies“ hervorgegangene raumanalytische Studie – angesiedelt im Schnittpunkt von Geschichtswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft – untersucht moderne Raumregimes in Berlin nach dem Fall dieser „Mauer“. Und ihr letztlich nicht überraschender Befund lautet: Neue Grenzen und „Mauern“ sind folgerichtig entstanden und entstehen permanent neu. Politische Prestigeentscheidungen, geopolitische Entwicklungen, Migrantenströme, Ab- und Zuwanderung, Globalisierungsprozesse und Kapitalstrategien – all das transformiert den Organismus Stadt immerwährend, reißt alte Grenzen ein und schafft beständig neue. Diese Transformationen werden im Rahmen der Studie von Janet Ward nicht im engeren Sinn statistischsozialgeschichtlich analysiert, sondern in Hinsicht auf das Wechselspiel von Faktum und Bedeutung. Denn Raum, Architektur und Stadtgestalt organisieren nicht nur soziales Zusammenleben, sondern repräsentieren es auch.
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Hans-Jürgen Wagener: Wirtschaftsordnung im Wandel
4 Seiten | Autor: Ulrich Busch
Der Transformationsbegriff gehört zu den in der jüngeren Vergangenheit am meisten strapazierten Begriffen in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Dies hat seine Ursache darin, dass der sich seit dem Herbst 1989 in Mittel- und Osteuropa sowie in Ostasien vollziehende gesellschaftliche Umbruch nach vorausschauender Gestaltung sowie wissenschaftlicher Erklärung und Begleitung verlangt. Seit dem Untergang des Staatssozialismus sind 33 „Transformationsfälle“ zu beobachten, vier Staaten verschwanden im Zuge der gesellschaftspolitischen Neuordnung von der Landkarte, 24 Staaten haben sich neu konstituiert. So viel Veränderung, zudem derart komprimiert in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum, gibt es selten. Es ist daher kein Wunder, dass viele in dem Transformationsprozess eine Sternstunde für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften erblickten, eine einmalige Chance für Gesellschaftstheoretiker, ihre Methoden anzuwenden, vorhandene Modelle empirisch zu testen und neue Erklärungsansätze zu formulieren.
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Christian Brütt: Workfare als Mindestsicherung
4 Seiten | Autor: Christian Schröder, Leiv Eirik Voigtländer
Die Reichweite des sozialpolitischen Wandels in Deutschland durch die sogenannten Hartz- Reformen ist in der Sozialpolitikforschung umstritten: Handelt es sich lediglich um graduelle Anpassungen oder um einen Paradigmenwechsel? Dieser Frage geht der Politologe Christian Brütt in seiner Dissertation nach. Er vertritt die These, dass die sozialstaatlich-institutionellen Rahmenbedingungen einen paradigmatischen Wandel vollzogen und sich einem Idealtypus von workfare angenähert hätten. Dieser Begriff geht auf die Einschränkungen der Sozialhilfe in den USA in den 1990er Jahren zurück. Mit ihm wird in sozialpolitischen Debatten eine Verpflichtung der Leistungsbeziehenden zur Arbeit als Gegenleistung und Abschreckung gedanklich verbunden. Der Paradigmenwechsel sei, so Brütt, in Deutschland nicht erst mit den Hartz-Gesetzen erfolgt, sondern habe bereits deutlich früher eingesetzt. Den Wandel verortet der Autor nicht im Zentrum des institutionellen Arrangements, er analysiert ihn als Prozess, der von den Rändern des Sozialstaats ausgehe. Zu diesem Zweck untersucht er in seiner analytisch- konzeptionellen Studie die Entwicklung der Mindestsicherung in der Bundesrepublik von der Einführung der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) 1962 bis zur Grundsicherung für Arbeitslose nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) 2005.
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Katja Kailer: Science Fiction
3 Seiten | Autor: Sabine Wöhlke
In ihrer Filmanalyse untersucht Katja Kailer, inwieweit Science-Fiction-Filme als Spiegel und Verstärker unserer populären Kultur anzusehen sind: „Die von den Filmemachern und Drehbuchautoren verwendeten Bilder, Klischees und Metaphern sind demnach ein Spiegel der populären Bilder von Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit, da ihre Filme ein Spiegel der populären Kultur sind. Zugleich verstärken ihre Filme diese Bilder und versehen sie mit fantasievollen Details und Dekorum“. Kailer geht die Deutung von Science Fiction als filmische Repräsentation von Wissenschaft jedoch nicht weit genug und verweist aus medienanalytischer Perspektive auf gesellschaftliche Grundfragen und Grundprobleme im Zusammenhang mit wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen, die in diesem Genre verhandelt werden.
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Hamlet und der Untergang der „Titanic“. Über die Krisen und die Krise des Kapitalismus
14 Seiten | Autor: Jürgen Leibiger
Als vor hundert Jahren die „Titanic“, bejubeltes Wunderwerk damaliger Technik, unterging, erschien das wie ein Menetekel kommender Katastrophen. Im selben Jahr, 1912, beschloss der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler seinem Hauptwerk den Titel „Der Untergang des Abendlandes“ zu geben. Spengler war überzeugt davon, dass ein Jahrhunderte langer Prozess des kulturellen Untergangs ähnlich dem der Antike nun dem Abendland bevorstehe. Mit diesem Titel verlieh er der Endzeitstimmung und der Erschütterung des bürgerlichen Weltbildes plastischen Ausdruck. Er hatte – wie beispielsweise auch Thomas Mann mit seiner Metapher des Dekadenten und dessen Absterben im „Tod von Venedig“ – einen guten Riecher und als sein Werk 1919 endlich erschien, wurde es ein Riesenerfolg.
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Komparative Krisenanalyse. Gottfried Haberler und die Lehren aus der Depression der 1930er Jahre
15 Seiten | Autor: Ulrich Busch
Es gibt zutreffende Erklärungen für die gegenwärtige Krise und unzutreffende. Letztere interpretieren sie politisch, als Resultat „falscher“ Wirtschaftspolitik, oder psychologisch, als intendierte Folge von Gier und Unmoral. Erstere erklären sie ökonomisch, konjunkturtheoretisch und finanzwirtschaftlich, als Ausdruck der inhärenten Instabilität des Finanzkapitalismus. Aktuell gewinnt letzterer Aspekt enorm an Bedeutung. Deshalb erweist sich die Finanzperspektive, die „Betrachtung der kapitalistischen Wirtschaft aus der Perspektive ihrer Finanzbeziehungen“ (Minsky), als die zutreffendste Sicht auf die aktuelle Krise. Wahrscheinlich ereignen sich auch kommende Krisen als Finanzkrisen, mit der Gefahr, die reale Wirtschaft in eine Depression zu stürzen. Seit den 1930er Jahren hat sich hier jedoch ein Lernprozess vollzogen, wozu Haberler beigetragen hat. Eine strikte Regulierung der Finanzmärkte erscheint heute nicht nur unabweislich, sondern auch möglich und die Verhinderung einer weltweiten Depression wie die der 1930er Jahre als eine durchaus realistische Option.
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‚It happened again‘ oder: Hyman P. Minskys Beitrag zu einer Neuausrichtung der Wirtschaftswissenschaft
16 Seiten | Autor: Arne Heise, Jan Herntrich
Die Hypothese effizienter Märkte (HEM) sagt eigentlich nicht viel mehr aus, als dass rationale Marktakteure alle für ihre Markttransaktionen relevanten Informationen verwenden und in ihre Entscheidungskalküle einflieβen lassen. Diese sehr allgemeine und kaum angreifbare Form der Hypothese ist dann allerdings in der weiteren Verwendung dahingehend konkretisiert und „radikalisiert“ worden, dass alle für Markttransaktionen notwendigen Informationen grundsätzlich vorhanden bzw. wahrscheinlichkeitstheoretisch prognostizierbar und folglich „rational erwartbar sind“ – die Preise der an den Märkten gehandelten Güter spiegeln diese Informationsannahmen wider: Für die Finanzmärkte, die durch besonders geringe Transaktionskosten und hohe Reaktionsgeschwindigkeit der Marktteilnehmer gekennzeichnet sind, bedeutet dies einerseits einen weitgehend reibungslosen – also selbststeuernden – Ablauf und ein effizientes Marktergebnis, wobei die Preise der Finanzprodukte ein perfektes Abbild der involvierten Risiken und Ertragschancen abgeben.
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