Konstruktivismus
Eine gute Ergänzung!
1 Seiten | Autor: Hartmut Elsenhans
Vielen Dank für den exzellenten Kommentar. Ich habe wiederholt unterstrichen, dass gesellschaftliche Lagen nicht automatisch zu politischen Einstellungen führen und Lernprozesse stark durch erworbene organisierende Konzepte gelenkt werden. Mein „Frankreichs Algerienkrieg“ von 1974 enthält 50 Seiten zur Entwicklung unterschiedlicher Einstellungen zum Algerienkrieg trotz gleichbleibender makroökonomischer und makropolitischer Lagen.1 Der Lernprozess hing damals von der realen Lage in Algerien und den Erwartungen über Erfolgsaussichten der französischen Politik, also der Realität, und nicht von Normen, Werten und Identitäten ab. Die Befreiungsbewegung orientierte ihr Handeln an ihrer Einschätzung der Lernfähigkeit der französischen Gesellschaft. Sie diskutierte dies mit den französischen Gegnern des Algerienkriegs.
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Philosophische Verwirrung um eine Fehletikettierung
3 Seiten | Autor: Klaus Schlichte
Hartmut Elsenhans hat Recht und Unrecht zugleich. Seine Kritik dessen, was sich im akademischen Bereich der Internationalen Beziehungen (IB) „Konstruktivismus“ nennt, ist berechtigt. Die Bezeichnung indes ist falsch, denn das, was er Konstruktivismus nennt, ist keiner. Das wiederum liegt nicht an Elsenhans, sondern an den Advokaten dieses „Konstruktivismus“ selbst. Denn vieles von dem, was sich in den deutschen IB „Konstruktivismus“ nennt, hat mit diesem meist recht wenig zu tun. Es ist nur die alte liberale Theorie der internationalen Politik. Es geht darin nicht um wirklichen Konstruktivismus à la Ernst von Glasersfeld, Jean Piaget oder Heinz von Foerster, und es geht auch nicht um die philosophischen Vorläuferideen aus Kants Transzendentalphilosophie oder um Hegels Arbeit des Begriffs. Die radikalen Gedanken des radikalen Konstruktivismus – die Dezentrierung des Subjekts oder die doppelte Kontingenz oder die Beobachterabhängigkeit spielen darin ebenso wenig eine Rolle wie die Habitustheorie von Bourdieu oder Luhmanns Autopoiesis. Der „Konstruktivismus“ à la Wendt, Risse und Gefolge war ein falsches Etikett. Drin war der alte Liberalismus mit seinen Ideen vom kollektiven Lernen, demokratischen Fortschritt und der Überlegenheit bürgerlicher Normen. Es stand also von Anfang an das Falsche drauf.
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Konstruktivismus als neoimperialer Ansatz
5 Seiten | Autor: Hartmut Elsenhans
Einverstanden, wir nehmen Wirklichkeit stets vermittelt über unsere Interpretationen wahr. Alle historische Forschung hat deshalb nach Kontextualisierung gefragt: wer, was, wann, wo, weshalb, wie, wofür? Wir wären zur Wahrnehmung unfähig, wenn wir die Wirklichkeit dabei nicht auf das für uns Relevante reduzierten. Im akademischen Bereich der internationalen Beziehungen geht Konstruktivismus aber über diese banale Tatsache hinaus: Man will mit soziokulturellem Lernen die Bereitschaft von Staaten zur Kooperation stärken, weil Normen und Interpretationen auch die existierende Wirklichkeit verändern können. Die traditionelle Literatur im Bereich der internationalen Beziehungen über Struktur und Akteur hat dazu schon viele (skeptische) Beiträge geliefert, lange vor den Konstruktivisten.
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Die Kunst realistisch zu sein
14 Seiten | Autor: Karen van den Berg
Am Beispiel ausgewählter Werke von Jan van Eyck, Hieronymus Bosch, Ilja Repin und Forensic Architecture werden in diesem Beitrag unterschiedliche Konzepte des Realismus erläutert. Mit Blick auf die epistemische Struktur der Werke problematisiert Karen van den Berg den Realitätsbegriff und wirft – im Anschluss an Bruno Latour und Jörn Rüsen – die Frage auf, was dennoch dafür spricht, für einen neuen Realitätssinn wie auch für eine neue realistische Kunst einzutreten – eine realistische Kunst, die darum weiß, dass das, was wir Realität nennen, ein krisenanfälliges, aber ethisch bedeutsames Phantasma ist.
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Krisen der Realität
ISBN 978-3-945878-92-7 | ISSN 0863-4564 | 162 Seiten
Die Realität ist zum Zankapfel geworden. Die Streitereien darüber, was wirklich ist, werden heute nicht (oder nicht primär) in der Philosophie oder den Naturwissenschaften ausgetragen, sondern spielen sich auf verschiedenen öffentlichen Bühnen ab. Streitpunkt sind nicht Zweifel an der Existenz der Welt oder Fragen, die das Wesen der Wirklichkeit und deren Erkenntnis betreffen. In Zeiten „postfaktischer Politik“ ist der Streit zuallererst rhetorischer Natur. Die Realität ist ein Argument in aktuellen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen, deren Kontrahenten sich gegenseitig Realitätsverlust, -verweigerung, -blindheit, -flucht, -verzerrung u.a.m. vorwerfen. Der jeweilige Gegner lebt demnach in einer Scheinwelt, gibt sich Illusionen hin, ist uneinsichtig, manipuliert oder lügt; man selbst hingegen hat den Durchblick, spricht Klartext und verfolgt nur lautere Zwecke. Die Realität, die man dabei in Anspruch nimmt, ist nicht eine Realität unter anderen, sondern die Realität im Singular – eine eindeutige, feststehende Sache. Die Suche nach Eindeutigkeit kann man als Reaktionen auf die Vertrauenskrisen verstehen, in die demokratische Politik, Massenmedien, Religion oder Wissenschaft geraten sind. Die acht Beiträge des Themenschwerpunkts Krisen der Realität gehen auf diese aktuellen Entwicklungen ein und zugleich über sie hinaus, indem sie sie in größere geistes- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge einordnen. Aus unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Perspektiven beleuchten die Autorinnen und Autoren Wendepunkte, an denen dominante Wirklichkeitsverständnisse hinterfragt und überwunden wurden. Sie problematisieren vereindeutigende und vereinfachende Sichtweisen auf das, was wir jeweils Realität nennen, und zeigen Alternativen hierzu auf. In ihrer Einleitung stellen Karen van den Berg und Jan Söffner die einzelnen Artikel vor und erläutern, wieso es an der Zeit ist, über Neufassungen des Realitätsbegriffs nachzudenken. Außerhalb des Schwerpunkts formuliert Loïc Wacquant vier Prinzipien, die man in der theoretischen wie empirischen Arbeit mit dem Werk Pierre Bourdieus beachten sollte, und weist auf die Gefahren hin, die ein leichtfertiger, unreflektierter Einsatz Bourdieuscher Begriffe in der sozialwissenschaftlichen Forschung mit sich bringen kann. Vor einem breiten theoriegeschichtlichen Hintergrund erörtert Athanasios Karafillidis zwei grundlegende Fragen relationaler Soziologie: Wie kann man Relationen erkennen? Und wie entstehen aus Relationen Identitäten? Die erste Frage beantwortet er mit einem operativen Konstruktivismus, der die Realität nicht von ihrer Konstruktion trennt: „Es ist zwar nicht die, sondern nur eine Realität, aber sie ist echt, materiell und unausweichlich.“
Inhalt
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Zur Einleitung
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Die Krise der Realität und die Realität der Krise
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Über die Realität der Entscheidungen in Finanzmärkten
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Über Leerstellen des Ästhetischen
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Von Jan van Eyck bis Forensic Architecture
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Über Wolfgang Hilbig
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„The Good Place“, Moralphilosophie und die Frage nach der Realität
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Relationale Soziologie und die Ontogenese von Identitäten
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Kein Ende in Sicht
25 Seiten | Autor: Gerhard Steingress
Der Titel dieses Beitrages spiegelt meinen beruflichen Werdegang wider, der vor fast 40 Jahren in einem akademischen Klima begann, das von einer lebendigen Debatte über theoretische und methodologische Grundlagen der Soziologie geprägt war. Als in den Diskurs Eingebundener wurde ich, gemeinsam mit einer ganzen Generation von Soziologen, mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert: Einerseits mussten wir zugunsten einer der dominanten soziologischen Strömungen – sozialwissenschaftlicher Empirismus, Strukturfunktionalismus sowie Marxismus bzw. Neomarxismus der Frankfurter Schule – Position beziehen. Andererseits verlangte es uns die theoretisch-methodologische Breite ab, die soziologischen Schulen zu verinnerlichen und ihre Differenzen, Lücken und Inkompatibilitäten auszuloten. Wir verstanden die Soziologie sowohl als wissenschaftliche Kritik an der Gesellschaft, in der wir lebten, als auch als selbstkritische Wissenschaft von der Gesellschaft. Diese gewollt zweigleisige akademische Herangehensweise hatte ungewollte (und daher soziologisch interessante) Auswirkungen: Uns wurde klar, dass wir es mit verschiedenen Ansätzen zu tun hatten, von denen jeder jeweils andere Aspekte derselben sozialen Realität enthüllte.
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