Jonas Frister

Die Hirnforschung aus der Sicht von Praktikern

Wie beurteilen Lehrerinnen und Lehrer die pädagogische Relevanz der Hirnforschung?

13 Seiten | Autor: Jonas Frister

Die Erziehungswissenschaft beansprucht traditionell, die Referenzdisziplin der pädagogischen Praxis zu sein. Dies gilt gerade für die institutionellen Ausprägungen dieser Praxis, vor allem für das Schulwesen. Die Erziehungswissenschaft engagiert sich in Forschung und Ausbildung, indem sie Lehrerinnen und Lehrern sowohl Reflexionstheorien als auch Handlungskonzepte bereitstellt. Über diese Orientierungsfunktion bezieht sie einen Großteil ihrer Legitimität. Das Verhältnis von Erziehungswissenschaft und Lehrerschaft ist jedoch kein leichtes. Dies zeigt sich zum einen in kontinuierenden Debatten über das Selbstverständnis der Disziplin als einer ‘praktischen Wissenschaft‘ oder aber ‘Forschungswissenschaft‘. Zum anderen zeigt es sich in wiederkehrenden Legitimationskrisen, denen sich die Erziehungswissenschaft und die Lehrerschaft ausgesetzt sehen. Die letzte dieser Krisen geht zurück auf den „PISA-Schock“ im Jahr 2001. Dieser katapultierte nicht nur Fragen von Schule und Erziehung ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins. Er öffnete zugleich ein Opportunitätsfenster für ein innovatives Feld an Wissenschaften, das sich der Lehrerschaft nunmehr als eine neue, bisher unzureichend wahrgenommene, aber unmittelbar relevante wissenschaftliche Referenzinstanz empfehlen konnte. Die Rede ist von der Hirnforschung bzw. den Neurowissenschaften: Prominente Hirnforscher stellen in Aussicht, auf naturwissenschaftlicher Grundlage pädagogische Prozesse „hirngerecht“ fundieren und dadurch effizienter gestalten zu können als es bisher möglich war.

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Erschienen in
Berliner Debatte 1 | 2013
Bildung und Biologie
162 Seiten

Berliner Debatte Initial 1 | 2013

Bildung und Biologie

Herausgeber: Thomas Müller | Jonas Frister

162 Seiten

Wer momentan nach pädagogischer Ratgeberliteratur sucht, findet ohne große Mühe Titel wie „Jedes Kind ist hoch begabt. Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen“, „Wie Kinder heute lernen. Was die Wissenschaft über das kindliche Gehirn weiß. Das Handbuch für den Schulerfolg“, „Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt“ oder „Medizin für die Bildung. Ein Weg aus der Krise“. Verfasst sind diese Bücher von Neurobiologen und Medizinern, die eine breitere Öffentlichkeit mittlerweile aus Funk, Fernsehen und Feuilleton kennt. Dass sie sich kontinuierlich und engagiert zu einer Vielzahl von Bildungs- und Erziehungsfragen äußern, ist ein Anzeichen dafür, dass die Biowissenschaften heute einen festen Platz im pädagogischen Feld beanspruchen. Das pädagogische Engagement, das von neurowissenschaftlicher und medizinischer Seite ausgeht, ist mit unterschiedlichen Ambitionen verbunden: Das Spektrum reicht von der neurowissenschaftlichen Neubeschreibung pädagogisch relevanter Phänomene (z. B. Bauer 2008) über die Reform des Bildungssystems nach medizinischem Vorbild bis zum bildungspolitischen Programm einer praktisch relevanten Lernwissenschaft unter neurowissenschaftlichen Vorzeichen. Zwar unterscheiden sich die Vorschläge im Detail und je nach Adressat, doch gehen sie alle davon aus, dass die eigentliche Erklärung pädagogisch relevanter Phänomene auf neurowissenschaftlicher Ebene, im Gehirn, zu finden ist. Mit Blick auf professionelle Pädagogen schreibt etwa Manfred Spitzer: „Lernen ist nun der Gegenstand der Gehirnforschung schlechthin; daher wird ein Lehrer, der weiß, wie das Gehirn funktioniert, besser lehren können“.

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