Vom korporatistischen Elitenkartell zur lobbyistischen Interessenvertretung

12 Seiten | Autor: Grit Straßenberger

Von Karl Lauterbach, dem zweiten Mann in der Rürup-Kommission, ist der Satz überliefert, man könne gute Gesundheitspolitik machen, wenn es nicht die Lobbyisten gäbe. Auf einer Fachtagung zum Thema „Lobbyismus in Deutschland“ in Berlin Anfang 2003 fügte er hinzu: Alle im Gesundheitssystem haben eine Lobby-Vertretung, nur nicht die größte, eigentlich betroffene und vor allem zah lende Gruppe – die Patienten.1 Gute de mo kratische Politik, so ließen sich beide Aussagen zusammenziehen, ist eine, in der sich der wissenschaftlich informierte und von ausgewiesenen Experten beratene Staat zum Anwalt seiner Bürger und Bürgerinnen macht, anstatt sich von potenten Interessengruppen instrumentalisieren zu lassen. Die Zeiten jedoch, in denen Gemeinwohlrhetorik zur moralischen Disqualifizierung partikularer Interessen wirksam in Einsatz gebracht werden konnte, scheinen wohl vorüber.2 Und die Zeiten, in denen nicht um den privilegierten Status wissenschaftlichen Wissens in politischen Entscheidungsprozessen gestritten wurde, sind noch nicht angebrochen. Angesichts rasanter Inflationierung wissenschaftlicher Expertise als tragendes Merkmal einer sich entwickelnden Wissensgesellschaft ist dies auch nicht zu erwarten. Peter Weingart spricht angesichts der Ubiquität von Experten im politischen und gesellschaftlichen Raum gar von einem Paradox: Die steigende Bedeutung wissenschaftlichen Wissens für politische Entscheidungsprozesse führt zu dessen Verallgemeinerung, Trivialisierung und letztlich Entwertung – mit dem Ergebnis, daß die Wissenschaft in politische Konflikte involviert wird, die erhoffte Legitimierung politischer Entscheidungen gleichwohl ausbleibt.

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Erschienen in
Berliner Debatte 5 | 2004
Kultur als Entwicklungsvariable in Osteuropa
208 Seiten

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