Andreas Klärner

Leben mit der Krise

Was Narrationen offenbaren

12 Seiten | Autor: Rainer Land, Andreas Klärner

Dieser Beitrag legt den konzeptionellen Rahmen des Themenschwerpunkts dar und erläutert, wie individuelle Lebenskonstruktion und soziale Lage im Zusammenhang erforscht werden können. Narrationen offenbaren, wie der Einzelne in einer bestimmten sozialen Lage, die zunächst als gegeben genommen wird, sein eigenes Leben konstruiert, führt und reguliert, ihm einen Sinn gibt. Dabei kann die eigene Lage als unveränderbar, veränderbar oder auch veränderungsnotwendig erscheinen, das eigene Handeln auf Erleiden oder Verändern gerichtet sein, auf das Verändern des Selbst oder das der Umstände. Renitenz, Resignation und Depressionen sind beobachtbar. Soziale Lage und Lebenskonstruktion sind die Bezugspunkte, unter denen die Erzählungen ausgewertet, sortiert und aufgeschrieben wurden. Im Verhältnis von sozialer Lage und Lebenskonstruktion spiegeln sich Gesellschaft und Individuen wechselseitig.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2016
Leben mit der Krise
160 Seiten

Leben mit der Krise – der komplette Themenschwerpunkt

Die Beiträge des Schwerpunkts erzählen Geschichten von mehr als zwanzig Menschen, die in Armut leben und von sozialstaatlichen Transferleistungen abhängig sind. Die Darstellungen basieren auf Interviews oder Gesprächen, die die Autoren geführt und manchmal durch Beobachtungen oder durch eingesehene Dokumente ergänzt haben. Die Geschichten beschreiben soziale Lagen in einer Krise. Die Krise ist einerseits die Langzeitfolge des Umbruchs in Ostdeutschland, der viele Menschen entwurzelte und die Sozialisationsprozesse der nachfolgenden Generationen behinderte. Nicht alle haben zu einem erfüllten Leben zurückgefunden, viele Jugendliche und junge Erwachsene verließen die Region und ein großer Anteil der Zurückgebliebenen fand keinen erfolgreichen Einstieg in das Erwerbsleben. In einigen Regionen haben Deindustrialisierung und Abwanderung zu massenhafter Erwerbslosigkeit, Verödung der Dörfer und Landstädte und zur Perspektivlosigkeit für vermutlich zwei oder drei Generationen geführt. Die Krise ist aber auch zurückzuführen auf langfristige Transformationsprozesse der kapitalistischen Ökonomien, die durch die Vereinigungsumbrüche verstärkt wurden, längst aber nicht nur in Ostdeutschland zu beobachten sind: der Wandel von einem fordistischen, auf industrieller Produktion beruhenden Wirtschaftsmodell steigenden Wohlstands hin zu einer sich deindustrialisierenden, auf Technisierung und Digitalisierung basierenden Dienstleistungsökonomie, die durch zunehmende Ungleichheit geprägt ist und große regionale Unterschiede und soziale Segregation in ganz Europa verstärkt. / Die Schwerpunktbeiträge im Einzelnen: (1) Rainer Land, Andreas Klärner: Leben mit der Krise. Was Narrationen offenbaren (4-15); (2) Andreas Klärner: Jenseits der Arbeitsgesellschaft. Joachim Wiechert auf der Suche nach Normalität (16-21); (3) André Knabe: Arbeitslos in Panama. Annemarie Kolkowski tut, als ob nichts wäre (22-26); (4) Max Leckert: Nicht vorwärts und nicht zurück. Sabou Abani ist immer noch auf der Flucht (27-29); (5) Sylvia Keim: Alleinerziehend, arbeitslos, perspektivlos? Anne Wegner zwischen Familienmanagement und Erschöpfung (30-34); (6) Stefan Brandt: Arrangements mit und Sinnbezüge zu prekären Erwerbssituationen. Detlef Krug: „Ich kann’s ja doch nich ändern“ (35-39); (7) Hagen Fischer: „Ich muss immer genau wissen, was ich zu tun hab.“ Jürgen Nobel braucht Sicherheit (40-44); (8) Rainer Land: Zwischen Eigensinn und Hilflosigkeit. Lebenskonstruktionen in einer ländlichen Krisenregion (44-60)

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2016
Leben mit der Krise
160 Seiten

Berliner Debatte Initial 3 | 2016

Leben mit der Krise

Herausgeber: Rainer Land | Andreas Klärner

ISBN 978-3-945878-10-1 | ISSN 0863-4564 | 160 Seiten

Der jährlich erscheinende „Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit“ stößt meist kaum auf öffentliche Resonanz. In diesem Jahr war das anders. In ungewohnt deutlichen Worten weist der aktuelle Bericht auf die Gefahr hin, die Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit für Ostdeutschland darstellen: Auf dem Spiel stehe der gesellschaftliche Frieden, aber auch die nach wie vor fragile ökonomische Entwicklung werde durch rechtsextreme Gewalt und fremdenfeindliche Übergriffe zunehmend bedroht.

Der Hass und die Wut, die in Angriffen auf Flüchtlinge zum Ausdruck kommen, geben ebenso zur Besorgnis Anlass wie der Aufstieg autoritär-populistischen Protests in Gestalt von AfD und Pegida. Gerd Irrlitz setzt in seinem Beitrag die Analyse autoritären Bewusstseins und autoritärer Politik fort und fragt nach Zusammenhängen zur ökonomischen und sozialen Krise der Gegenwart.

Von dieser Krise, die nach wie vor und in besonderer Weise Ostdeutschland betrifft, gehen auch die Beiträge des Themenschwerpunkts aus. Sie betrachten dabei nicht makroökonomische und sozialstrukturelle Entwicklungen, sondern nehmen eine mikrosoziologische Perspektive ein: Die Autor(inn)en richten den Blick auf Individuen und deren Lebenswelt. Sie stellen Menschen vor, die nicht nur wegen ihrer eingeschränkten Handlungsspielräume „im Dunkeln“ sind, sondern auch deshalb, weil sich fast niemand für ihr Schicksal interessiert. Für diese Ausgeschlossenen und Vergessenen ist Krise nicht Augenblickserfahrung oder Übergangsphänomen, sondern ein Dauerzustand, mit dem sie sich irgendwie arrangiert haben – allerdings nicht nur resignativ, verbittert oder hilflos, sondern durchaus auch schöpferisch und mit einem gewissen Gleichmut. In ihrer Einleitung legen Rainer Land und Andreas Klärner den konzeptionellen Rahmen des Themenschwerpunkts dar und erläutern, wie individuelle Lebenskonstruktion und soziale Lage im Zusammenhang erforscht werden können. Zugleich stellen sie die sieben Schwerpunktbeiträge und ihre Protagonisten vor, deren Geschichten ebenso berührend wie erhellend sind.

Die in Heft 1/2016 von Ulrich Busch angestoßene Debatte über Nutzen und Nachteil von Vollgeld-Konzepten führt Sandra Schmidt weiter. In ihrem Beitrag plädiert sie für ein neues Geldsystem und skizziert dessen Umrisse. An die Schwerpunkte zum Krieg ohne Heimatfront (Heft 2/2014) und zum Kampf gegen den Terror (Heft 1/2016) knüpft Ina Wiesner an, indem sie den Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge, sogenannter Drohnen, unter soziologischen Gesichtspunkten untersucht.