Ein Plädoyer für das moderne Völkerrecht
4 Seiten | Autor: Hans J. Gießmann
Zwischen dem in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Gewaltverbot als einer politischen und rechtlichen Norm und seiner Umsetzung in den Beziehungen der Staatenwelt bestehen nicht erst seit der Zeitenwende vor zwanzig Jahren unübersehbare Widersprüche. Die Aporie liegt jedoch weniger in einer mangelnden Verträglichkeit der Norm als in ihrer flagranten Missachtung im politischen Handeln. Dabei liegt die Gefahr für das moderne Völkerrecht als hegender und zähmender Ordnung paradoxerweise nicht so sehr in der Entfesselung größerer Gewaltbereitschaft aufseiten bestimmter Staaten infolge ungleicherer Machtverteilungen als noch zu Zeiten des Kalten Krieges. Schwerer wiegt die „wohlmeinende“ Kritik, die mit legitimierenden Schlüsselbegriffen wie der „Schutzverantwortung“ oder der „humanitären Intervention“ die moralische Hoheit über das geltende Recht zu erobern sucht, um das „Gewaltverbot“ schließlich mit Gewalt durchsetzen zu dürfen. In der Quintessenz ist das Resultat dasselbe: die Rückverlegung des Rechts, über den Einsatz von Gewalt zu befinden, aus der Obhut einer handlungsunfähigen universellen Rechtsgemeinschaft in die Verfügbarkeit eines handlungswilligen Kartells staatlicher Akteure und politischer Zweckbündnisse.
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