Die Gegenwart der Zukunft
8 Seiten | Autor: Jörn Knobloch
Der Soziologe Heinz Bude konstatiert in einer kritischen Zeitdiagnose, dass sich die Politik aus dem Prozess der Produktion von Zukunft zurückgezogen hat.1 Die Nüchternheit der Feststellung wird ihrem radikalen Impetus kaum gerecht, denn sie bedeutet nichts weniger, als dass die Gesellschaft angesichts vermehrter Warnungen vor existenziell bedrohlichen Szenarien der Zukunft der Welt ihre eigene Zukunft politisch nicht mehr reflektiert. Nun ist zwar die Politik schon längst nicht mehr das herausgehobene Steuerungszentrum einer Gesellschaft, dennoch ist sie immer noch der exklusive Ort, an dem kollektiv legitime Entscheidungen getroffen werden. Geht dort nun der Zugriff auf die Zukunft verloren, dann ist dies unter normativen Gesichtspunkten bedenklich und mahnt zu einer weitergehenden Auseinandersetzung mit Budes Rückzugsdiagnose an. Hierfür ist die Plausibilität des Verlustes von Zukunft in der Politik zu prüfen, wobei zunächst differenziert werden muss: Geht es hier allein um den Verlust von Zukunftsvisionen als Orientierungsprogramm für die Politik oder darum, dass in politischen Auseinandersetzungen divergierende Zukunftsentwürfe nicht mehr gegeneinander in Stellung gebracht werden? Im Sinne normativer Leitideen zirkulieren keine unterschiedlichen Ansichten über die Zukunft, die miteinander konkurrieren bzw. zu Auslösern politischer Konflikte werden. Schließlich kann Budes Diagnose auch ein Hinweis darauf sein, dass innerhalb politischer Handlungen, Kommunikationen und Interaktionen keine konkrete Gestaltung von künftigen, noch nicht existenten gesellschaftlichen Zuständen angestrebt wird, weil den Akteuren die Fähigkeit zum strategischen Handeln abhandengekommen ist.
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