Friedrich Ratzel – Pionier moderner Sozialgeografie?

Ein Missverständnis

13 Seiten | Autor: Hans-Dietrich Schultz

Friedrich Ratzel ist schon über 100 Jahre tot, gleichwohl ist er noch kein Petrefakt, sein Werk bebt in wie außerhalb der Geografie, positiv wie negativ, noch immer nach. Üblicherweise wird er, der gelernte Apotheker, promovierte Zoologe und schließlich Professor der Geografie, als Begründer der modernen Anthropogeografie und Politischen Geografie sowie Mitbegründer der Völkerkunde erinnert, weniger jedoch als Landschafts- und Naturschilderer, der er auch war. Seine jüngste Konjunktur gehört zum spatial turn in den Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Hier erscheint er (mit anderen) als einer der „Pioniere einer modernen sozialwissenschaftlichen Sichtweise“ und „als eine der Gründerfiguren der heutigen Human- bzw. Sozialgeographie“. Methodisch wird ihm Bahnbrechendes attestiert, nur relativiert durch eine Neigung „zum schematischen Theoretisieren“. Besonders nahe kommt ihm diesbezüglich der Historiker Karl Schlögel, der ein griffig umgestelltes Ratzel-Zitat – „Im Raume lesen wir die Zeit“ – zum Titel eines zivilisationsgeschichtlichen Großessays gemacht hat, mit dem er die Ignoranz des Räumlichen in historischen Narrativen rügt, die Geschichtsvergessenheit der Geografie bedauert und Ratzel resolut von dem häufigen Vorwurf entlastet, legitimierender Vordenker der Rassen- und Raumpolitik Hitlers gewesen zu sein.

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Erschienen in
Kultursoziologie 3 | 2014
Vergessene Programme
110 Seiten

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