Boxen: Ästhetische Perspektiven
5 Seiten | Autor: Wolf-Dietrich Junghanns
Die Geschichte des modernen Boxens währt schon etwa 300 Jahre und hat eine kaum überschaubare Menge an Literatur über diese Geschichte, ihre Protagonisten, über Technik und Taktik und die Faszination dieser Sportart, die in der westlichen Welt lange zu den populärsten und umstrittendsten zählte, hervorgebracht. Die Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung der Boxgeschichte ist freilich wesentlich kürzer und steht in keinem Verhältnis zu der von diesem Sport und um ihn herum erzeugten öffentlichen Aufmerksamkeit. Auch wenn man das in Rechnung stellt, fällt auf, dass es bis heute trotz hinreichender Anhaltspunkte keine systematische und umfassende Studie über die Form und Konstruktion des Box- „Ringes“, deren historische Entwicklung, die Veränderungen der Art und Weise der Besetzung und Verwendung des Ringes als Raum und der spezifischen Raumerfahrungen in und an diesem gibt. Dabei handelt es sich um einen der interessantesten Räume, den die Moderne hervorgebracht hat, wie schon die Metaphern nahelegen, mit denen seine Symbolik und die der Aktionen in ihm hervorgehoben wird: Altar, Bühne bzw. Theater, Käfig und Zelle, Richtplatz, Tanzboden usw. Dass der „Ring“ gar keinen Kreis bildet, ist letztlich bloß ein äußerer Hinweis darauf, dass seine Konstruktion historisch das Ergebnis bestimmter technischer Probleme und von Interessenkonflikten in der Institutionalisierung des Sports im 18. und 19. Jahrhundert ist. So wird das sogenannte Seilviereck bis heute einfach für die geeignete Form für die Austragung von Wettkämpfen in dieser speziellen Körper- und Bewegungsdisziplin gehalten. Die Mehrheit der Interessenten scheint keine Notwendigkeit zur Veränderung gesehen zu haben. Versuche mit kreisförmigen Ringen gab es wiederholt, aber offenbar überzeugten sie nicht und das wohl nicht allein aus Gründen der fehlenden Symbolik für Gegensätze. Ein Streitpunkt im Zuge der Bemühungen, das Boxen äußerlich zu zivilisieren und dem Geschmack des aufstrebenden Bürgertums anzupassen, war die Frage, ob die Möglichkeit, den Gegner in die Ecke zu drängen und dort besonders zu gefährden, beibehalten werden sollte. Offenbar haben die meisten Anhänger – und Anhängerinnen – in den entsprechenden Angriffs- und Verteidigungsmanövern der Raumverengung bzw. -gewinnung einen wesentlichen Bestandteil der Spannungskonfiguration und „Kunst“ des Boxens gesehen. Dazu kam die praktische Schwierigkeit, eine kreisförmige Begrenzung herzustellen, die maßvoll elastisch ist – eine Bedingung für Verletzungsschutz und Kampfdynamik – und zugleich gut einsehbar – eine Bedingung für Öffentlichkeit. Darüber, ob sich im runden Ring über die Beseitigung der vier engeren Gefahrenräume hinaus etwas an der Raumwahrnehmung und dem Raumverhalten der Athleten, z.B. in der Distanzfindung zum Gegner, änderte, scheinen keine Berichte überliefert worden zu sein.
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