History as a Way of Learning

Zum Tode des amerikanischen Historikers William A. Williams

8 Seiten | Autor: Frank Unger

Der akademische Diskurs in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist strukturell überall gleich, er ist, wie u. a. Pierre Bourdieu es gezeigt hat, stets das Resultat von Kompromissen zwischen einem Ausdrucksinteresse und einer Zensur. Wissenschaft als organisiertes soziales System funktioniert in Ost und West auf dieselbe Art und Weise: Die Bruderschaft der bereits Initiierten entscheidet zunächst nach rituellen Kriterien, sodann auf der Grundlage einer Werteskala, deren Maß die „Reputation“ ist, wer in die Ränge von Gelehrten aufzunehmen sei und wer nicht. Die Erkenntnis von Wahrheit ist ein eher seltenes und zufälliges Nebenprodukt gewöhnlicher akademischer Betriebsamkeit, ihr Aussprechen führt in der Regel zu erheblichen Reputationsverlusten des Autors. Ähnlich irritierend wie das Streben nach Wahrheit ist für den akademischen Betrieb das Schreiben für das Volk. Der Adressat des akademischen Diskurses ist nicht die Öffentlichkeit, sondern die Gemeinschaft der Akademiker. Allerdings ist der Verdacht nicht auszuschließen, daß dabei auch ein Rationalisierungsmechanismus am Werk ist. Denn insgeheim träumen wohl die meisten akademischen Autoren – insbesondere die Historiker- davon, einmal durch einen Bestseller das große Geld zu machen oder wenigstens über den Rahmen der alljährlichen Stammeszusammenkünfte hinaus berühmt zu werden - allein scheitert dieser Traum in den meisten Fällen an der akademischen Sozialisation angezüchteten Hemmung, ein bestimmtes Ausdrucksinteresse auch adäquat in Sprache umzusetzen.

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Erschienen in
Berliner Debatte 7 | 1990
Individualität im Umbruch
106 Seiten

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