Psychologische und soziale Aspekte der Vorstellung von der totalen Gleichheit

11 Seiten | Autor: Boris Kotschubej

Analysen der sozialen Katastrophen, die in unsere Geschichte unter der Bezeichnung „Stalinismus“ eingegangen sind, beschränken sich bis auf den heutigen Tag größtenteils auf die Untersuchung ihrer ökonomischen Wurzeln. Weitaus weniger Aufmerksamkeit wird dem System der Ideen, Einstellungen und herrschenden Meinungen gewidmet, das sich in dem vorangegangenen Zeitraum entwickelt und letztlich als Begründung für die tragische Wahl unseres Weges gedient hatte. Das Stalinsche administrative System hat so starke Deformationen in unserem Bewußtsein hervorgerufen, daß eine Unterscheidung zwischen den Auswirkungen jener Katastrophe und ihren Ursachen schwierig ist. Daraus erklärt es sich, daß die Suche nach den geistigen Grundlagen des Stalinismus oftmals auf einem durch seine radikale Einfachheit bestechenden Weg erfolgt: Als diese Grundlage wird die offizielle, dogmatisch verstandene Ideologie des Marxismus betrachtet. Der Radikalismus dieser Position ist jedoch sehr oberflächlich: Es ist sehr leicht, sich von den in den Lehrbüchern dargelegten Dogmen loszusagen, sehr schwer aber, jene Dogmen zu überwinden, die tief in unser Bewußtsein eingedrungen sind. Letztere haben einen ganz anderen Charakter - sowohl hinsichtlich ihres Inhalts als auch hinsichtlich ihrer sozialpsychologischen Mechanismen.

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Erschienen in
Berliner Debatte 5 | 1990
Über die Tragödie des sozialistischen Ideals
100 Seiten

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