Ein ganz normales Land
4 Seiten | Autor: Henning Melber
Bis zu den Parlamentswahlen am 11. September 2022 hatte sich die Min- derheitsregierung der Sozialdemokraterna (S) unter Magdalena Andersson mühsam über die Runden gehangelt. Denn sie war auf die Unterstützung durch den ehemaligen grünen Koalitionspartner Miljöpartiet (MP), die linke Vänsterpartiet (V), sowie die Centerpartiet (C) angewiesen. Letztere war dank der kompromisslosen Haltung der Parteivorsitzenden Annie Lööf aus dem konservativen Bündnis mit der bis dahin größten Oppositions- und früheren Regierungspartei der Moderaterna (M) ausgestiegen. Lööf verwei- gerte aus antirassistischer Überzeugung jegliche Zusammenarbeit mit den rechten Sverigedemokraterna (SD). Als sich die M und die Allianzparteien der Kristdemokraterna (KD) und Liberalerna (L) für eine Kooperation offen zeigten, ging Lööf im Wahlkampf einen Schritt weiter: Sie erklärte, ihre Par- tei würde eher eine S-Regierung unterstützen als eine Regierung, die auf das Wohlwollen der SD angewiesen wäre. Ihre Integrität hätte sie fast das Leben gekostet. Sie entging im Juli nur knapp einem lang geplanten Attentat durch einen SD-Fanatiker mit Nazi-Vergangenheit.1 Angesichts der lebensbedroh- lichen Folgen ihrer Haltung stieg sie zum Jahresende aus der Politik aus. Ihre Erfahrung erinnert daran, dass es in dem als so friedlich geltenden Schwe- den immer wieder zu politisch motivierten Gewalttaten kommt: die Ermor- dung von Ministerpräsident Olof Palme (1986) und der Außenministerin Anna Lindh (2003). Auch zeigte der „robuste“ Wahlkampf, dass es mit der schwedischen Zurückhaltung längst nicht mehr ist wie es einmal war.
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