Wenchao Li, Hartmut Rudolph (Hg.): „Leibniz“ in der Zeit des Nationalsozialismus
3 Seiten | Autor: Christoph Sebastian Widdau
1946 hielt der Philosoph und Pädagoge Theodor Litt aus Anlass des 300. Geburtstages von Gottfried Wilhelm Leibniz einen Vortrag über den Universalgelehrten und seine Bedeutung für die „deutsche Gegenwart“, in dem er Folgendes formulierte: „Es ist das erste Mal seit der Vollendung des deutschen Absturzes, daß der Blick sich von dem Jammer der Gegenwart abgezogen und zu einer der großen Gestalten unserer Vergangenheit hingelenkt findet, die in die dunkle Nacht der gemeinsamen Not einen Lichtstrahl hineinsenden könnten. Es ist das erste Mal, daß wir wieder mit Stolz auf einen, der ganz zu uns gehört, hinweisen können“. Wer ganz zu wem gehört, wer sich wem zugehörig macht oder wer zugehörig gemacht werden soll – diese Fragen sind im Zusammenhang mit deutschen Intellektuellen zwischen 1933 und 1945 und der Herrschaftspraxis der nationalsozialistischen Eliten vielfach diskutiert worden. Exemplarisch kann für diese Diskussion der Name Martin Heidegger stehen. Leibniz, in den Jahrzehnten nach 1648 als „Reichspatriot, Staatsphilosoph und Politiker“ agierend, war im nationalsozialistischen Deutschland weder vergessen, noch wurden seine Überlegungen ausgeblendet, wenngleich der Philosoph Erwin Metzke 1943 vermutete, dass kaum „eines großen Deutschen Bild […] so blaß im allgemeinen Bewußtsein geblieben“ sei „wie das von Leibniz“. Welches auch immer das allgemeine Bewusstsein war und wie die Blässe zu bestimmen ist: Leibniz’ Schriften und ihre Auslegungen wurden rezipiert, seine Ideen nicht selten ideologisch vereint.
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