Literatur

Walter Kempowskis „Das Echolot. Abgesang ’45“

Vom Archiv zur Druckfassung

13 Seiten | Autor: Roger Woods

Roger Woods analysiert „Das Echolot. Abgesang ’45“, den letzten Band von Walter Kempowskis „kollektivem Tagebuch“ des Zweiten Weltkrieges, vor dem Hintergrund theoretischer Diskussionen zur subjektiven Erfahrung der Geschichte und zur Gegenüberstellung von homogenisierten und heterogenen Formen der Erinnerung. Ein Vergleich von Kempowskis Originalunterlagen im Archiv der Berliner Akademie der Künste mit den Auszügen, die im „Abgesang ’45“ veröffentlicht wurden, zeigt, dass das Material, das Kempowski erhalten hatte, nicht immer eine Sammlung von originalen Briefen, Tagebüchern und Notizen aus den letzten Jahren des Krieges ist, wie der Untertitel des Echolot-Projekts – „ein kollektives Tagebuch“ – nahelegt. Zwar vermittelt „Abgesang ’45“ einen für die heterogene Erinnerung von Individuen charakteristischen internen Dialog, aber dieser Dialog spielt eine untergeordnete Rolle im Vergleich zur Darstellung kollektiven deutschen Leids, die Kempowski durch Auswahl, Überarbeitung und Rekontextualisierung des Archivmaterials priorisiert.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2022
Auf in die Provinz!
140 Seiten

Franz Fühmann und seine Bibliothek

15 Seiten | Autor: Ralf Klausnitzer

Die Bibliothek des Schriftstellers Franz Fühmann war bereits zu seinen Lebzeiten legendär: Mit mehr als 18.000 Bänden aus Literatur, Kunst, Wissenschaft bildete die stetig erweiterte Sammlung von intensiv genutzten Büchern die Grundlage für vielfältige Textumgangsformen und ein überaus vielseitiges Werk. Der Beitrag stellt die Bestandteile dieser besonderen Autorenbibliothek vor und erläutert Praktiken ihres Gebrauchs. Diese zeigen sich in Arbeitsspuren in den Büchern wie in den Notizen von Fühmanns Zettelkästen. Schließlich werden auch die in Buchwidmungen dokumentierten Beziehungen zu anderen Autorinnen und Autoren skizziert.

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Erschienen in
Berliner Debatte 1 | 2022
Einsamkeit
166 Seiten

Franz Fühmanns Erzählung „Barlach in Güstrow“

6 Seiten | Autor: Kirsten Thietz

Franz Fühmanns 1963 erschienene Novelle „Barlach in Güstrow“ ist der Zeit und den Umständen ihrer Entstehung nach einem Komplex erzählender Texte zuzuordnen, die Fühmanns Ankunft als Autor im Rostocker Hinstorff Verlag markieren. Der 1959 in Volkseigentum überführte Traditionsverlag ging daran, sich unter Nutzung seines regionalen mecklenburgischen Potenzials im kulturpolitischen Feld der DDR zu positionieren. Dem entsprach das Anliegen, das in Güstrow bewahrte Erbe des eigenwilligen Expressionisten Ernst Barlach für die DDR zu erschließen. „Barlach in Güstrow“ ist eine essayistische Annäherung an den Bildhauer und Dichter im Gewand einer klassischen Künstlernovelle. Kirsten Thietz erklärt, warum sich Fühmann Barlach verbunden fühlte und weshalb es Anfang der 1960er Jahre kulturpolitisch riskant war, Barlachs Leben und Werk in der Form, die Fühmann wählte, zu thematisieren.

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Erschienen in
Berliner Debatte 1 | 2022
Einsamkeit
166 Seiten

Berliner Debatte Initial 1 | 2022

Einsamkeit

Geschichte sozialer Nichtbeziehungen

ISBN 978-3-947802-95-1 | ISSN 0863-4564 | 166 Seiten

Mit Relativität vertraut, lieferte Albert Einstein nicht nur theoretische Beiträge zur Raumzeit, sondern auch zur Einsamkeits-Semantik: „Ich lebe in jener Einsamkeit, die peinvoll ist in der Jugend, aber köstlich in den Jahren der Reife.“ Damit ist klar: Einsamkeit gleicht keinem Newtonschen Gesetz, das Menschen notwendig zu Boden zwingt. Vielmehr variieren Begriff, Phänomen und damit assoziierte Strukturen historisch, sozial und biografisch. Ob wir in einem präzedenzlosen „Zeitalter der Einsamkeit“ leben, wie die britische Ökonomin Noorena Hertz meint, ob Einsamkeit mit der Corona-Pandemie allgegenwärtig geworden ist und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, oder ob ein medialer Einsamkeitsdiskurs Ängste lediglich verstärkt und Einsamkeit dagegen positiv als kreativer Raum der Freiheit gelten kann – der Themenschwerpunkt widmet sich diesen und anderen Fragen in einem, um im Bild zu bleiben, relativen Bezugssystem perspektivisch und disziplinär vielfältiger Beiträge.

Außerhalb des Schwerpunkts stehen zwei Jubiläen im Fokus: Vor 50 Jahren, am 2. März 1972, veröffentlichte der Club of Rome den berühmten Bericht über die „Grenzen des Wachstums“. Petra Dobner und Jasper Finkeldey befassen sich in einer kritischen Würdigung mit der Entstehungsgeschichte, dem Inhalt und der Methode dieser Studie. Vor 100 Jahren, am 15. Januar 1922, wurde der Schriftsteller Franz Fühmann geboren. An seine 1963 erschienene Erzählung „Barlach in Güstrow“ erinnert Kirsten Thietz. Die Novelle handelt nicht zuletzt von der Einsamkeit des großen, von den Nationalsozialisten verfemten Künstlers Ernst Barlach (1870–1938). Ralf Klausnitzer lädt uns ein in Fühmanns Bibliothek, die 1984, als der ebenso produktive wie vielseitige Autor starb, mehr als 18.000 Bände umfasste. Er stellt die zur Bibliothek gehörenden Zettelkästen sowie ausgewählte Werke vor und bringt uns damit Fühmann als Sammler, Leser und Literatenfreund näher.

Hier finden Sie eine Leseprobe dieser Ausgabe: Leseprobe Einsamkeit

Inhalt

Andrej Platonows ätherische Waffe

14 Seiten | Autor: Michael Leetz

Andrej Platonows Fragment gebliebener Roman „Der makedonische Offizier“ (1932–1936) ist eine der frühesten und schärfsten literarischen Reaktionen auf den Stalinismus. Die Handlung des Romans, die sich während des Feldzuges von Alexander dem Großen zuträgt, stellt in verschlüsselter Form die unmittelbare Gegenwart des Schriftstellers dar – die Sowjetunion der ersten Hälfte der 1930er Jahre bis zum Beginn des Großen Terrors. Doch zugleich wohnt dem Text eine zukünftige Dimension inne: Platonow warnt vor einer globalen Katastrophe, die droht, wenn es dem Menschen nicht gelingt, sein Bewusstsein zu ändern und in ein vollkommen neues Verhältnis zur Natur zu treten. Nun ist „Der makedonische Offizier“ im Suhrkamp Verlag erstmals auf Deutsch erschienen. Michael Leetz, der Übersetzer des Fragments, unternimmt den Versuch einer Entschlüsselung dieses hochpoetischen und vielschichtigen Textes. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Gegenüberstellung von Sonne und Mond, die als Leitmotiv auf geheimnisvolle Weise das ganze Werk durchzieht. Bei der Lüftung des Rätsels kommt den naturwissenschaftlichen Auffassungen Platonows, die sich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Ingenieur herausgebildet haben, eine zentrale Bedeutung zu.

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Erschienen in
Berliner Debatte 4 | 2021
Weltall Erde Mensch
156 Seiten

Mars_Menschen_Medien

Der Nachbarplanet als Sphäre kultureller Selbstvergewisserung um 1900

14 Seiten | Autor: Alexander Wagner

Alexander Wagner unterscheidet zwei Perspektiven auf den Mars aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende und geht der Frage nach, wie stark der Nachbarplanet der Erde innerhalb der um 1900 noch anhaltenden Marseuphorie als Projektionsfläche und damit zur Selbstvergewisserung über terrestrische Formen von Wissensgenese auf verschiedenen Gebieten instrumentalisiert wurde. Im ersten Fall erläutert das Medium Hélène Smith ihrem männlichen Aufschreibesystem Théodor Flournoy, seinerseits Professor für Psychologie an der Universität Genf, an der Jahrhundertschwelle wichtige gesellschaftliche Zusammenhänge über das Leben auf dem Mars, architektonische und landschaftliche Besonderheiten, die Regeln des Zusammenlebens und besonders das dortige Sprach- und Schriftsystem und lotet damit einen Bereich zwischen Pathologisierung und selbstermächtigter weiblicher Diskurshoheit gegenüber der wissenschaftlichen Autorität des renommierten Professors aus. Der Mars wird ihr dabei, als programmatische Zone des Unbekannten, zum Experimentierfeld einer neuen Autonomie, auf dem sie als Medium selbst zum Teil zur wissenden Außerirdischen werden kann. In anderer Richtung besucht der Marsianer Passyrion in Paul Oswald Köhlers Reisebericht im Stil von Montesquieus „Lettres Persanes“ (1721) die Erde, das Wilhelminische Deutschland genauer gesagt, und sammelt dort in der Manier eines Volkskundlers wichtige Erkenntnis über das Fremde, um anschließend in einer Vorlesung an der Universität des Mars davon zu berichten.

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Erschienen in
Berliner Debatte 4 | 2021
Weltall Erde Mensch
156 Seiten

Besprechungen und Rezensionen 3/2021

(1) Walter Otto Ötsch, Theresa Steffestun (Hg.): Wissen und Nichtwissen der ökonomisierten Gesellschaft. Rezensiert von Ulrich Busch; (2) Alfred Eisfeld u. a. (Hg.): Der „Große Terror“ in der Ukraine. Die „Deutsche Operation“ 1937–1938. Rezensiert von Wladislaw Hedeler; (3) Stefano Zangrando: Kleiner Bruder. Leben, Lieben, und Werke des Peter B. Rezensiert von Thomas Möbius; (4) Jens Nordalm: Der schöne Deutsche. Das Leben des Gottfried von Cramm. Rezensiert von Hans Joachim Teichler

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2021
digital arbeiten
166 Seiten

Thomas Brasch – zwei Jahrzehnte nach seinem Tod gelesen

15 Seiten | Autor: Birgit Dahlke

Das gattungsübergreifende Gesamtwerk des 1945 im englischen Exil geborenen Dichters und Dramatikers, Nachdichters und Filmemachers Thomas Brasch scheint dazu zu verführen, es biographisch zu deuten. Der Titel seines spektakulären Debüts „Vor den Vätern sterben die Söhne“ (1977) veranlasste durchaus nicht nur westdeutsche Interviewer, in der betont artifiziellen Prosa eine kritische Abrechnung des 1968 nach einer Flugblatt-Aktion gegen den Einmarsch in Prag verhafteten Autors mit dem Funktionärsvater Horst Brasch zu suchen. So vehement sich Brasch lebenslang gegen politische Vereinnahmungen von jeder Seite wehrte, DDR-Herkunft und das literaturgeschichtlich tradierte Vater-Sohn-Label wurden zu dominierenden Größen seiner Kanonisierung. Das berechtigte Interesse an der konflikthaltigen Geschichte einer Familie als Zeitgeschichte, wie es zuletzt im Dokumentarfilm „Familie Brasch. Eine deutsche Geschichte“ (2018) von Annekatrin Hendel zum Ausdruck kam, verstellt eher den Blick auf die Komplexität der poetisch-filmischen Produktion Thomas Braschs. Über den Erkenntniswert des von der Filmemacherin inszenierten Familiengemäldes lässt sich streiten. Ästhetisch wird jedenfalls nicht begründet, warum sie gerade ihn ins Zentrum ihrer Bild-Konstruktion der „Buddenbrooks des Ostens“ setzt. Zum zwanzigsten Todestag im November 2021 ist der Kinostart eines Spielfilms über Thomas Brasch von Andreas Kleinert mit dem Titel „Lieber Thomas“ angekündigt. Auch Kleinert sieht, wie es in der Filmbeschreibung heißt, das „Leben von Thomas Brasch […] eng mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verknüpft“.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2021
digital arbeiten
166 Seiten

Berliner Debatte Initial 3 | 2021

digital arbeiten

ISBN 978-3-947802-73-9 | ISSN 0863-4564 | 166 Seiten

„Zoom Fatigue“, zu Deutsch „Videokonferenz-Erschöpfung“, ist vielleicht das neueste Phänomen eines zunehmend digitalisierten Büroalltags. Seit der Corona-Pandemie und dem notgedrungenen Umzug ins Home-Office sind Videokonferenzen allgegenwärtig. Zum digitalen Arbeiten gehören heute außerdem kollaborative Tools, die Echtzeiteinblicke in die Arbeitsfortschritte von Teams gewähren, sowie Applikationen und KI-Elemente, die Arbeitsprozesse erleichtern sollen. Digitales Arbeiten wird dadurch transparenter, jedoch in einer Weise, die für die Beschäftigten in der Regel intransparent ist. Dadurch verändern sich die Möglichkeiten der Überwachung und die Modi der Fremd- und Selbstkontrolle.

Dass die Digitalisierung in alle Lebensbereiche eingreift, Nebenwirkungen hat, Herausforderungen verschiedenster Art (politisch, kulturell, ökologisch etc.) mit sich bringt und wir erst lernen, mit ihr und ihren Effekten umzugehen, wird seit Jahren breit diskutiert. Im Themenschwerpunkt „digital arbeiten“ geht es vor allem darum, wie sich Arbeit unter digitalen Vorzeichen verändert. Besonders auffällig an der digitalen Arbeitswelt ist, dass sie zur Entgrenzung neigt: Ständige Erreichbarkeit am Smartphone sowie fließende Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit sind längst selbstverständlich. Zugespitzt könnte man fragen, ob wir heute nicht alle Digitalarbeiter:innen sind, die Daten für Internetfirmen und -konzerne liefern, wenn sie Updates installieren, im Internet einkaufen, Apps nutzen, Bewertungen posten, Likes vergeben usw. usf.

Mit der digitalen Transformation scheint die Arbeitswelt im Stadium der permanenten Veränderung angekommen zu sein. Das betrifft nicht nur die digitalen Arbeitsmittel, die ständig auf den neuesten Stand gebracht werden sollen. Auch die Arbeitsprozesse selbst werden stetig umgestaltet: Algorithmen übernehmen die Steuerung und Managementkonzepte, die aus der Softwarebranche stammen, dienen als Überbau. Während das Management für eine „agile“ Arbeitskultur mit flachen Hierarchien schwärmt, hangeln sich viele Beschäftigte von Projekt zu Projekt und von Job zu Job. Dies gilt für an Hochschulen tätige „Wissensarbeiter“ genauso wie für die Fahrradkuriere von Essenslieferdiensten.

Die im Themenschwerpunkt „digital arbeiten“ zusammengestellten Artikel setzen sich mit Konzepten und Ansprüchen dieser „schönen neuen“ Arbeitswelt auseinander, bieten empirisch fiundierte Einblicke in das digitale Arbeiten, legen aktuelle Entwicklungstendenzen offen und diskutieren politische und normative Fragen, die sich aus der Digitalisierung der Arbeit ergeben.

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Inhalt

Umkämpft: Das zeitgenössische belarusische Literaturfeld aus institutioneller Perspektive

14 Seiten | Autor: Kristina Kromm

Kristina Kromm zeigt in diesem feldtheoretisch geleiteten Artikel, dass institutionelle Gegebenheiten im heutigen belarusischen Literaturfeld als Manifestationen eines Ringens um literarische Legitimität zu begreifen sind, in dem politisch-ideologische Faktoren mit literarischen Auffassungen verzahnt sind. Die Autorin geht auf Besonderheiten der heutigen institutionellen Struktur des belarusischen Literaturfeldes ein, die sie auf grundlegende kulturelle, politische und ideologische Veränderungen und Entwicklungen seit Ende der 1980er Jahre zurückführt. Angesichts des nach den Massenprotesten 2020 gestiegenen Interesses an belarusischer Literatur im deutschsprachigen Raum spricht sie auch die Frage an, wie ausländische Rezeptionsprozesse auf Positionierungen belarusischer Schriftsteller und auf Prozesse im belarusischen Literaturfeld zurückwirken.

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Erschienen in
Berliner Debatte 2 | 2021
Belarus – eine Revolution?
146 Seiten