2005
Gibt es überhaupt „Staatszerfall“?
11 Seiten | Autor: Klaus Schlichte
Spätestens seit die Europäische Union wie auch die USA das Problem von failed states als eine zentrale Bedrohung in ihre sicherheitspolitischen Kerndokumente aufgenommen haben, wächst sich das Thema zu einer fragwürdigen Größe aus. Staatszerfall wird zur „globalen Bedrohung“, eine „Herausforderung an die Weltordnung“ in „einer Zeit des Terrors“, ein „globales Sicherheitsrisiko“, besonders im „hoffnungslosen Fall“ des subsaharischen Afrika – so die Formulierungen in den Titeln eines Schwerpunkthefts der Zeitschrift Internationale Politik, die die Debatte recht typisch widerspiegeln. Auch der parlamentarische Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, Walter Kolbow, sieht in „Staatszerfall und Staatsversagen Bedrohungsformen auf globaler Ebene“.
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Der Nichtnazi
8 Seiten | Autor: Hartwig Schmidt
1968, bekanntlich ein denkwürdiges Datum, findet sich eine Gruppe französischer Intellektueller zusammen, die man allerdings schwerlich als 68er in dem üblicherweise gemeinten Sinne bezeichnen kann: eine Gruppe von Rechtsintellektuellen. Fortan wird sie unter dem Namen „Nouvelle Droite“ öffentliche Aufmerksamkeit zu finden versuchen. Von Anfang an das Haupt der Gruppe: Alain de Benoist, Jahrgang 1943, Autor von rund 45 Büchern, darunter von einem, das die honorige Académie Française 1978 mit ihrem Grand Prix de l’Essai auszeichnet. Er und die Seinen legen großen Wert darauf, als neue Rechte wahrgenommen und mit den alten Rechten nicht verwechselt zu werden. Vom Nazismus, Faschismus und Antisemitismus distanzieren sie sich. Dem Selbstverständnis nach denken sie dezidiert rechts und sind doch weder dem Nazismus noch dem Neonazismus verhaftet. Das hat Benoist nun nicht davon abhalten können, zur deutschen Ausgabe eines seiner Bücher das Vorwort von Armin Mohler schreiben zu lassen – einem deutschen Rechtsintellektuellen, der gelegentlich schon einmal bekannt hat, Faschist zu sein. Um so interessanter die Frage, worin das Neue an diesen neuen Rechten bestehen soll, ob und inwiefern sie rechtes Denken, Rechtsideologie allen Ernstes auf neue Weise darbieten.
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Schule als soziales Unternehmen
13 Seiten | Autor: Adalbert Evers
Insbesondere im Kontext der PISA-Diskussionen ist Schule zum Politikum geworden. Im Zentrum der jüngsten international vergleichenden Untersuchungen standen Leistung und Bildungsgerechtigkeit. In Deutschland hat das Erschrecken über die extreme Leistungsstreuung an deutschen Schulen ebenso wie die Tatsache, daß mehr als in anderen Ländern Bildungserfolge an die soziale Herkunft der Schüler gebunden bleiben, zu einer Debatte geführt, die sich vor allem auf Fragen der Pädagogik, der Chancen einer frühen, im vorschulischen Bereich ansetzenden Bildung und einmal mehr auf die Infragestellung des gegliederten Schulsystems konzentriert. Gleichzeitig gibt es jedoch weitere Diskussionsstränge, die auf die Institution Schule gerichtet sind. Sie verdeutlichen, daß es bei der Veränderung von Schule um mehr geht als um die Modernisierung von Pädagogik und Curricula.
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Schulentwicklung an der Grenze
12 Seiten | Autor: Jörg Nicht
Die Öffentlichkeit ist beunruhigt: Bis 2007 schließen in Sachsen 83 der etwa 1700 Schulen. In den anderen ostdeutschen Bundesländern werden wohl ähnliche Konsequenzen aus der demographischen Entwicklung gezogen. Auch einige westdeutsche Regionen haben „Entvölkerung“ sowie „Schrumpfungen“ zu bewältigen, die allerdings im Ausmaß geringer als in Ostdeutschland ausfallen. Demographische Entwicklung und Schulentwicklung (im Sinne von Schulnetzplanung) stehen in einem Zusammenhang. Den Schülerzahlen muß das Angebot an Schulplätzen entsprechen. Das kann dazu führen, daß bei steigenden Schülerzahlen Schulen neu gebaut werden, und daß Schulen geschlossen werden, wenn die Schülerzahlen sinken. Wenn die Schülerzahlen so massiv sinken, wie in den letzten Jahren in den meisten Regionen Ostdeutschlands, erscheint die Lösung, die Zahl der Schulen zu reduzieren, als alternativlose Strategie. Doch sind wirklich keine anderen Lösungen denkbar? Zwar ist die demographische Entwicklung zunächst maßgeblich, doch hängt auch von der Struktur eines Schulsystems ab, wie das Schulnetz und die Einzelschule aufgebaut sind. Das in Deutschland etablierte differenzierte Schulsystem geht mit einer mehrgliedrigen Schulstruktur (Gymnasium, Realschule etc.) einher und benötigt – ökonomisch gesprochen – mehr Input, also höhere Schülerzahlen, als ein wenig gegliedertes System mit einzügiger Schulstruktur.
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Wächst die Gewalt an Schulen?
12 Seiten | Autor: Ulrike Popp
Über „Gewalt an Schulen“ wird gegenwärtig in Österreich intensiv diskutiert, die Nachfrage nach Forschungsergebnissen über Momente der partizipativen Gewaltprävention ist stark angestiegen. In Deutschland begann eine intensive und theoriegeleitete Forschung über Gewalt an Schulen bereits Anfang der 1990er Jahre. Das aufkommende Interesse an der Frage, inwieweit deutsche Schulen sichere oder unsichere Aufenthaltsorte sind, war zum einen den Befunden über die Zunahme von Jugendgewalt und rechtsextremen Orientierungen geschuldet.
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Die geteilte Bildungsexpansion
15 Seiten | Autor: Michael Vester
Zwischen der öffentlichen Diskussion und der soziologischen Forschung über die Bildungschancen bestehen erhebliche Diskrepanzen. In Öffentlichkeit und Politik dominiert das „meritokratische“ Marktmodell. Es verspricht allen, sich im freien Leistungswettbewerb einen angemessenen Platz in der Bildungs- und Berufshierarchie erarbeiten zu können. An die Stelle der „geerbten“ Reichtümer und Machtstellungen sei eine Struktur durch Leistung „verdienter“ Ungleichheiten getreten, die „Meritokratie“.
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Was bedeutet „Ökonomisierung der Bildung“?
11 Seiten | Autor: Bernd Zymek
Die seit Ende der 1980er Jahre wieder beschleunigten Internationalisierungs- und Rationalisierungsprozesse haben in Deutschland so viele traditionsreiche Rechtsverhältnisse, Institutionen und Mentalitäten in Frage gestellt, daß auch radikale Provokationen und Tabu-Brüche oft gar nicht mehr oder nur sehr zeitverzögert wahrgenommen und thematisiert werden. Das gilt auch für den Strukturwandel des Bildungssystems und die ihn begleitenden Diskussionen. In diesem Prozeß ist im Schnittfeld von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ein neuer Typus von Texten populär geworden, der mit der erklärten Absicht veröffentlicht wird, die Wertigkeit alter Begriffe und Strukturen zu verschieben, die Verabschiedung alter Vorstellungen und Strukturen zu rechtfertigen, radikale Veränderungen mental vorzubereiten und neue „Leitbilder“ zu propagieren. Ein Musterbeispiel für diese Gruppe von – früher hätte man gesagt, „volkspädagogischen“ – Texten ist das Gutachten, das die Basler prognos AG unter der Gesamtredaktion des Präsidenten der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, für die „Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V.“ erarbeitet hat, dessen erster Teil Ende 2003 und dessen zweiter Teil Ende 2004 veröffentlicht wurde.
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Reinhard Mehring (Hg.): Carl Schmitt – Der Begriff des Politischen
3 Seiten | Autor: André Brodocz
Glaubt man Carl Schmitt, dann entscheidet „oft schon der erste Satz über das Schicksal einer Veröffentlichung“. Wenig bescheiden – wie immer – hatte Schmitt dabei vor allem einen eigenen ersten Satz vor Augen, und zwar den aus seiner Abhandlung über den Begriff des Politischen. Diese Schrift hat Schmitt – je nachdem, wie man zählt – in wenigstens drei verschiedenen Versionen (1927, 1932 und 1933) veröffentlicht. Interessanterweise hat Schmitt ausgerechnet den so hoch geschätzten ersten Satz in der dritten Ausgabe dieser Schrift samt dem ersten Kapitel gestrichen. In einer Wiederauflage aus dem Jahre 1963 kehrt der erste Satz mit dem dazugehörigen Kapitel zurück, denn Schmitt entscheidet sich nicht für den Wiederabdruck der letzten, sondern der vorletzten Fassung. Genau diese Ausgabe ist Gegenstand eines von Reinhard Mehring herausgegebenen Kommentars. Abschnitt für Abschnitt wird der Schmitt-Text in seiner 1963er Fassung sowie die dieser Ausgabe angehängten Texte von verschiedenen Autoren kommentiert.
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Chaos oder Sinn?
4 Seiten | Autor: Jens Hacke
Geschichte und Theorie stehen in einem unklaren Verhältnis. Wenn der Historiker von der Theorie spricht, die seiner Arbeit zugrunde liegt, weiß man nie so recht, was das eigentlich heißen soll. Handelt es sich um ein geschichtsphilosophisches Glaubensbekenntnis oder um eine Bestimmung des Geschichtsbegriffs an sich? Ist mit Theorie für die Geschichte eine (vornehmlich den sozial- und geisteswissenschaftlichen Nachbarfächern) entlehnte These gemeint, welche die Deutung des Historikers prägt, oder geht es lediglich um eine Methode, die das Material arrangieren und strukturieren hilft? Im Gegensatz zur Geschichtsphilosophie, deren Ende man oft verkündet hat und die ja gerade nicht das Betätigungsfeld der Historiker ist, wird der Geschichtstheorie kaum mehr die Existenzberechtigung abgesprochen. Im Gegenteil – sie erst vermag heute den Nachweis zu liefern, daß es sich bei der Historiographie überhaupt um eine Wissenschaft eigenen Ranges handelt. Das war nicht immer so. Noch 1979 konnte Golo Mann behaupten: „Die Historie ist eine Kunst, die auf Kenntnissen beruht, und weiter ist sie gar nichts.“ Und der große englische Liberale Isaiah Berlin konstatierte eine Spur lapidarer: „History is what historians do“.
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Ralf Dahrendorf: Der Wiederbeginn der Geschichte
2 Seiten | Autor: Dirk Jörke
Es ist die gegen Francis Fukuyama gerichtete These vom Wiederbeginn der Geschichte nach dem Fall der Mauer, die Ralf Dahrendorf seiner Sammlung von 24 Reden und Aufsätzen aus den Jahren 1990 bis 2003 voranstellt. Das Ende des Kalten Krieges habe nicht den endgültigen Triumph des Westens bewirkt, sondern die Welt sei vielmehr erst in Bewegung geraten, nachdem der historische Prozeß im Zeitalter der Blockkonfrontation gleichsam in Erstarrung verfangen gewesen sei. Die Öffnung der Grenzen habe mithin eine Dynamik entfaltet, deren Auswirkungen wir noch gar nicht abschätzen können. „In diesem Sinn“, so Dahrendorf, „markiert 1989 keineswegs das Ende der Geschichte, sondern im Gegenteil ihren Wiederbeginn“. Dies ist eine starke Behauptung, die einzelnen Beiträge müssen sich an diesem Anspruch messen lassen. Dokumentieren sie einen Wiederbeginn der Geschichte, oder ist es lediglich alter Wein in neuen Schläuchen, den uns Dahrendorf hier präsentiert?
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