Transformationsforschung jenseits des Transitionsparadigmas

Kommentar zu Casula und Müller

4 Seiten | Autor: Andreas Pickel

Wie die beiden Beiträge von Philipp Casula und Klaus Müller erneut zeigen, war der auf Marktwirtschaft und Demokratie ausgerichtete westliche Transformationsdiskurs schon von Anfang an nicht in der Lage, wissenschaftliche Erklärungen der Entwicklungen der späten Sowjetunion und Russlands seit den späten 1980er Jahren zu produzieren. Der Hauptstrom der inner- wie außerakademischen Transformationsdebatten fand unter ideologischen Vorzeichen statt. Obwohl Ideologien auch wichtige Erklärungsfunktionen beinhalten, bleibt ihr oberster Zweck ein politischer. So kam es, dass dieselbe Sowjetunion, die bis spät in die 1980er Jahre als im Wesentlichen unveränderbar galt, in den frühen 1990er Jahren plötzlich in einem völlig neuen Licht erscheinen konnte. Die inzwischen zerfallene Sowjetunion und insbesondere Russland, die man im Schnellzug zu westlicher Marktwirtschaft und Demokratie sah, erhielten nun vom Westen großzügige finanzielle Hilfe und viele gute Ratschläge von Experten, die glaubten, über Transformationswissen zu verfügen. So flexibel kann ideologisches Denken sein. Dieselben westlichen Politiker und Intellektuelle, die sich Jahrzehnte lang an einem umfassenden Feindbild der Sowjetunion abgearbeitet hatten, waren nun bereit, sich die Mär der Erlösung von allem Übel mit Hilfe einer aufgeklärten russischen Führung und einer professionellen Transitionsstrategie zu eigen zu machen. Kein ernstzunehmender wissenschaftlicher Ansatz könnte eine so radikale kognitive Kehrtwende vornehmen, ohne seine theoretische Glaubwürdigkeit zu verlieren.

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Erschienen in
Berliner Debatte 3 | 2013
Auf der Jagd nach Gefühlen
168 Seiten

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